Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
Fische in den Flüssen töten und dann die Fische in den Meeren. Sie werden immer mehr Säugetierarten ausrotten. Sie werden kein gutes Trinkwasser mehr haben, wenn die Fische erst tot sind. Sie werden nicht mal mehr gute Luft zum Atmen haben. Wenn du nicht genug Sauerstoff hast, wie kannst du dann klar denken? Sogar ein Eichhörnchen kann eine schlechte Getreideernte deuten und hält sich mit der Vermehrung entsprechend zurück. Ein Mensch kann seine Ernten nicht deuten. Sie vermehren sich immer weiter. Wisst ihr, dass in diesem Moment, wo ich dies sage, mehr als fünf Milliarden Menschen auf der Erde sind? Sie können ihre Kinder nicht ernähren und vermehren sich doch immerzu.«
Tuckers Augen blickten besorgt. »Sie sind krank. Krank an Leib und Seele.«
»Sie wollen einfach nicht einsehen, dass auch sie eine Tierart sind und dass die Naturgesetze auch für sie gelten.« Pewters Pupillen wurden weit.
»Sie finden die Gesetze der Natur grausam. Weißt du, Pewter, du hast recht. Sie sind verrückt. Sie scharen sich zu Millionen zusammen, um sich in einem Krieg gegenseitig zu töten. Wurden im Zweiten Weltkrieg nicht annähernd fünfundvierzig Millionen von ihnen abgeschlachtet? Und im Ersten Weltkrieg ungefähr zehn Millionen? Es ist fast zum Lachen.« Mrs Murphy sah Harry und Officer Cooper Maudes Laden durch den Hintereingang verlassen. »Es ist mir ehrlich gesagt ziemlich schnuppe, ob sie millionenweise sterben, aber ich möchte nicht, dass Harry stirbt.«
Pewter gluckste, ein Ton, der um eine Nuance heller war als Schnurren. »Ja, Harry ist ein Pfundskerl. Wir sollten sie zur Ehrenkatze ernennen.«
»Oder zum Ehrenhund«, ergänzte Tucker. »Sie sagt, Katzen und Hunde sind die Laren und Penaten eines Hauses, seine Schutzgeister. Harry steht auf Mythologie, und der Vergleich gefällt mir.«
Harry und Officer Cooper gingen zum Fliederstrauch hinüber.
»Ein Katzen-Kränzchen.« Harry kraulte Pewter am Schwanzansatz. Tucker leckte ihre Hand. »Entschuldige, ein Katzen-und-Hunde-Kränzchen. Kommt jetzt, ihr Trabanten. Zurück an die Arbeit.«
38
Bob Berryman war stolz auf seine Konstitution. Mit Anfang fünfzig war er kräftiger als zu der Zeit, als er an der Crozet High School Football gespielt hatte; entsprechend war er noch eitler geworden, was seine sportlichen Fähigkeiten anging. Was ihm mit der Zeit an Schnelligkeit abhanden kam, machte Bob Berryman durch Raffinesse wett. Er spielte regelmäßig Softball und Golf. Er war es gewöhnt, Männer zu beherrschen und von Frauen Unterwerfung zu erfahren. Maude Bly Modena hatte sich ihm nicht unterworfen. Wenn er es recht bedachte, hatte er sich gerade deswegen in sie verliebt.
Er dachte kaum an etwas anderes. Er führte sich jeden Moment ihrer gemeinsamen Zeit wieder und wieder vor Augen. Er suchte diese Erinnerungen, Fragmente von Gesprächen und Gelächter nach Hinweisen ab. Was noch viel schmerzlicher war, er kehrte heute zu den Bahngleisen zurück. Was konnte es hier draußen geben, auf halbem Wege zwischen Crozet und Greenwood?
Unmittelbar vor ihrem Tod war Maude auf dieser Strecke gejoggt. Einmal die Woche lief sie den Weg an den Schienen entlang. Sie wechselte ihre Laufrouten gern. Sie sagte, sonst wäre es ihr langweilig. Sie lief die Bahnstrecke jedoch nicht öfter als andere Joggingrouten. Er war sie alle abgelaufen, mit Ozzie auf den Fersen.
Er hatte nie den Eindruck gehabt, dass Kelly und Maude sich nahestanden. Hier kam er nicht weiter. Er nahm sich im Geist sämtliche Leute in Crozet vor. War sie freundlich zu ihnen gewesen? Was dachte sie wirklich von ihnen?
Ein warmer Wind peitschte seine schütteren Haare, ein Serengetiwind, wüstenhaft trocken. Der Teer auf den Bahngleisen stank. Berryman spähte ostwärts zur Stadt, dann westwärts zum Greenwood-Tunnel.
Sie hatte immer Witze über Crozets Schatz gemacht; und gründlich, wie Maude war, hatte sie sich einiges an Lektüre über Claudius Crozet besorgt. Der Ingenieur faszinierte sie. Wenn sie den Schatz nur finden könnte, dann könnte sie sich zur Ruhe setzen. Der Einzelhandel sei strapaziös, sagte sie, aber diese Ansicht teilte sie mit ihm, denn Berryman verhökerte mehr Viehtransporter als sonst jemand an der Ostküste.
Erst um zehn Uhr an diesem Abend, in der Stille seines kürzlich gemieteten Zimmers, war Berryman klar geworden, dass der Tunnel etwas mit Maude zu tun haben musste. Von unbändiger Neugierde ebenso getrieben wie von Schmerz, eilte er, ohne zu zögern, zu
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