Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
entlangstreifte, roch sie das Harz, vermischt mit dem sumpfigen Erdgeruch. Sie hatte keine Zeit gehabt, die fünfzig Morgen Laubbaumbestand zu inspizieren. Sie konnte sich denken, dass ganze Bäume entwurzelt waren, denn als sie in der Nacht wach lag, wie hypnotisiert von der Gewalt des Sturmes, hatte sie in der Ferne das ächzende, wehe Splittern und Krachen der in den Tod stürzenden Bäume gehört. Nur gut, dass rings ums Haus keine Bäume entwurzelt und dass Scheune und Nebengebäude intakt geblieben waren.
»Ich hasse es, nass zu werden«, beschwerte sich Mrs Murphy. Alle paar Schritte reckte sie die Pfoten in die Luft und schüttelte sie.
»Dann geh halt wieder rein, du Waschlappen.« Mrs Murphys übertriebene Zimperlichkeit belustigte und reizte Tucker. Nichts konnte Tuckers Corgi-Laune so steigern wie eine vergnügte Planscherei im Bach, eine Tollerei im Schlamm oder, wenn sie wirklich Glück hatte, eine Suhlerei in was richtig Abgestorbenem. Und da sie kurze Beine hatte und somit nahe am Boden war, fühlte sie sich dazu berufen, sich schmutzig zu machen. Es wäre etwas anderes, wenn sie eine Dänische Dogge wäre. Vieles wäre anders, wenn sie eine Dänische Dogge wäre. Zum einen könnte sie Mrs Murphy mit überlegener Würde einfach ignorieren. Wie die Dinge lagen, würde das allerdings zur Folge haben, dass die Katze Tucker auf Zehenspitzen umrunden und ihr Ohrfeigen versetzen würde. Wäre es nicht spaßig zu beobachten, wie Mrs Murphy das bei einer Dänischen Dogge tat?
»Und wenn was Wichtiges passiert? Dann kann ich nicht weg.« Mrs Murphy schüttelte Schlamm von ihrer Pfote auf Harrys Hosenbein. »Außerdem sehen drei Augenpaare mehr als eins.«
»Himmel, Arsch und Wolkenbruch.«
Hund und Katze blieben stehen und folgten Harrys Blick. Der Bach zwischen ihrer Farm und Foxden war über die Ufer getreten und hatte alles vor sich hergewälzt. Schlamm, Gras, Äste und ein alter Reifen, der vom Yellow Mountain heruntergespült worden sein musste, waren in die Bäume entlang dem Ufer gekracht. Einiges von dem Zeug hatte sich verheddert, der Rest schoss in beängstigendem Tempo stromabwärts. Mrs Murphys Augen weiteten sich. Das Tosen des Wassers machte ihr Angst und Bange.
Als Harry sich dem Bach nähern wollte, versank sie bis zu den Knöcheln in heimtückischem Matsch. Sie besann sich eines Besseren und gab’s auf.
Der bleierne Himmel über ihr bot keine Hoffnung auf Wetterbesserung. Fluchend, die Füße kalt und nass, patschte Harry in die Scheune. Sie dachte an ihre Mutter, die zu sagen pflegte, dass alles sich ständig erneuert. »Du musst erkennen, dass auch Zerstörung Erneuerung in sich birgt, Harry«, sagte sie immer.
Als Kind hatte Harry nicht begriffen, wovon ihre Mutter sprach. Grace Hepworth Minor war Bibliothekarin in der Stadtbücherei gewesen, und Harry hatte ihre Äußerungen darauf zurückgeführt, dass sie zu viele tiefgründige Bücher gelesen hatte. Mit den Jahren wurde ihr immer klarer, wie klug ihre Mutter gewesen war. Ein Anblick wie dieser, anfangs so entmutigend, ließ auch an Neubeginn denken, an Befreiung von Überflüssigem, an Kräftigung.
Wie bedauerte sie, dass ihre Mutter tot war, denn sie hätte gern über die emotionale Erneuerung in der Zerstörung gesprochen. Diese Erfahrung machte sie durch ihre Scheidung.
Tucker, der Mutters Schweigen und ihre nachdenkliche Miene auffielen, sagte: »Die Menschen denken zu viel.«
»Oder überhaupt nicht«, entgegnete die Katze frech.
8
Am späten Vormittag wurde der Regen wieder stärker. Eher gleichmäßig als sintflutartig, trug er wenig dazu bei, die Stimmung der Menschen zu heben. Mrs Hogendobbers schöner rotseidener Regenschirm war der Lichtblick des Tages. Und natürlich ihr Gesprächsdrang. Sie hatte sich bemüßigt gefühlt, alle anzurufen, die in Crozet noch ein funktionierendes Telefon hatten, und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie hatte erfahren, dass Blairs Transformator explodiert war. Die Fenster der Allied National Bank waren zersplittert. Die Schindeln von Herbie Jones’ Kirche lagen im Stadtzentrum auf der Straße verstreut. Susan Tuckers Autodach war durch einen Ast beschädigt worden, und, Schrecken aller Schrecken, Mims Pontonboot, ihr ganzer Stolz und ihre ganze Freude, lag gekentert auf der Seite. Und das Allerschlimmste, ihr Privatsee war eine einzige Schlammmasse.
»Hab ich was vergessen?«
Mit dem spitzen Ende einer Sicherheitsnadel reinigte Harry die Buchstaben und Zahlen
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