Mrs Murphy 03: Mord in Monticello
hatte.
»Kommt, sonst sind wir die Letzten.« Susan scheuchte sie zu ihren Autos.
22
Strömender Regen unterstützte Kimball Haynes. Das Prasseln der Tropfen an die Fensterscheibe förderte seine Konzentration. Es war lange nach Mitternacht, und immer noch saß er über den Registern von Geburten und Sterbefällen zwischen 1800 und 1812.
Er hatte für seine Nachforschungen das Netz weit ausgeworfen und es dann langsam zu sich herangezogen. Medley Orion, geboren um 1785, wurde in den Berichten als eine schöne Frau bezeichnet. Ihr ungewöhnlicher Teint war zweimal erwähnt; ihre Gesichtszüge mussten entzückend gewesen sein. Weiße haben das Aussehen von Schwarzen selten wahrgenommen, es sei denn, um sich über sie lustig zu machen. Aber in einer frühen Aufzeichnung von der Hand einer Dame, höchstwahrscheinlich von Martha, Jeffersons ältester Tochter, waren diese Merkmale festgehalten.
Als Martha geheiratet hatte, war Medley fünf oder sechs Jahre alt gewesen. Sie musste sie als Kind und als junges Mädchen gesehen haben. Eigentlich hatte Martha sehr ordentlich Buch geführt, aber diese Notiz befand sich auf der Rückseite von einem Zettel, auf dem in einer winzigen Handschrift verschiedene Traubensorten aufgelistet waren.
Ein Blitz brannte sich in den Nachthimmel. Im Hof ein Knistern, dann ein Knall. Stromausfall.
Kimball hatte keine Taschenlampe. Er hatte seine Daunenweste an, denn es war kalt im Zimmer. Er tastete nach einer Schachtel Streichhölzer, zündete eins an. Kerzen hatte er keine ins Zimmer gestellt, warum auch? Er arbeitete selten bis spät in die Nacht in Monticello.
Der Regen hämmerte gegen die Fenster und trommelte aufs Dach, ein gewaltiges Frühjahrsgewitter. Selbst im Zeitalter des Telefons und der Krankenwagen war dies eine grässliche Nacht, um krank zu werden, ein Kind zu gebären oder im Freien zu Pferde überrascht zu werden.
Das Streichholz verlosch. Kimball wollte nicht noch eins anzünden. Er hätte sich die kaum mehr als einen halben Meter breite Stiege hinuntertasten können zum Erdgeschoss, das für das Publikum zugänglich war. Da unten gab es Bienenwachskerzen. Aber er beschloss, aus dem Fenster zu sehen. Ein Wasserschwall und hin und wieder Bäume, die sich im Wind bogen – mehr konnte er nicht erkennen.
Das Haus knarzte und ächzte. Den Tag sieht man, die Nacht hört man. Kimball hörte das Quietschen der Türangeln in dem leichten Luftstrom, den der kalte Wind von draußen heraufwehte. Die Fenster hier oben waren nicht ganz dicht, deswegen drang ein Windstoß herein. Die Fenster klapperten, als wollten sie gegen den strömenden Regen protestieren. Der Wind wirbelte laut durch die Rauchfänge. Gelegentlich fiel ein Regentropfen in den Kamin hinunter und lenkte die Gedanken auf Feuer vor über zweihundert Jahren. Bodendielen knarrten.
Vielleicht hätte damals ein wohlhabender Mensch bei einem so heftigen Gewitter eine Kerze angezündet, um es sich im Zimmer etwas heimeliger zu machen. Ein Feuer hätte im Kamin zu kämpfen gehabt, weil trotz des Rauchfangs starker Abwind von oben drückte. Aber ein wenig Licht und Heiterkeit hätten den Raum erfüllt, und verschreckten Kindern konnte man Geschichten von den nordischen und griechischen Göttern erzählen. Von Thor, der seinen gewaltigen Hammer warf, oder von Zeus, der einen Blitzstrahl auf die Erde schleuderte wie einen blauen Speer.
»Wie mag es bei so einem Gewitter in Hütte Nummer vier gewesen sein?«, fragte sich Kimball. Die Tür wäre geschlossen gewesen. Vielleicht hatte Medley Kerzen gehabt. Man hatte zwar keine Spur davon in ihrer Hütte gefunden, aber bei anderen Ausgrabungen war man auf Talgkerzen gestoßen, und die Schmiede und die Tischlerei hatten für die Männer, die nach dem Dunkelwerden dort arbeiteten, bestimmt welche gehabt. Die Feuerstellen in den Dienstbotenquartieren waren nicht so ausgeklügelt konstruiert gewesen wie die Kamine im Herrenhaus. Regen und Wind waren durch die Rauchabzüge hinabgeströmt und hatten Staub und Unrat durch das Zimmer geweht. Medley hatte wenigstens einen Holzfußboden gehabt. Manche Hütten hatten nur gestampfte Lehmböden gehabt, sodass die Füße morgens, wenn es kalt war, auf gefrorene Erde getreten waren. Vielleicht wäre Medley Orion in einer solchen Nacht ins Bett gekrochen und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen.
Kimball arbeitete fieberhaft, um Einzelheiten von Medleys Leben zusammenzufügen. Dies war eine andere Art von Archäologie. Je mehr
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