Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Kleidung, die sich verändert hatte. Wer hätte gedacht, dass Barbara Jean noch schöner werden konnte? Aber ein paar Monate ohne Alkohol hatten das Unmögliche wahr gemacht. Odette und Clarice sagten ihr immer wieder, wie stolz sie auf sie waren. Aber auf ihre typische Art weigerte Barbara Jean sich, sich für das, was sie gemeistert hatte, einen Verdienst anzurechnen. Wenn man sie darauf ansprach, murmelte sie bloß irgendeinen Spruch wie »Immer einen Tag nach dem anderen« und wechselte das Thema. Doch Barbara Jean lebte wieder auf, und das war deutlich zu sehen.
»Lasst uns reingehen. Es ist zu heiß hier draußen«, sagte James und meinte damit, dass es für Odette draußen zu heiß war. James war diesen Sommer noch aufmerksamer – eine Mischung aus Krankenschwester, Bärenmutter und Gefängniswärter. Ihm war außerdem bewusster als jedem anderen, dass Odette noch mehr von ihrem Gewicht und von ihrer Kraft verloren hatte. Aber sie kämpfte weiter wie ein Champion und weigerte sich, anzuerkennen, dass sich alles geändert hatte. Ihr Mann und ihre Freunde bewunderten ihren Kampfgeist, hatten aber das Gefühl, dass Odette ihnen allen ihre legendäre Furchtlosigkeit nur vorspielte. Denn wenn sie sie anschauten, wussten sie alle, dass die Zeit, es mit der Angst zu tun zu bekommen, längst gekommen war. Sie kämpften mit dem Drang, sie zu schütteln, bis sie zur Vernunft käme und genauso ängstlich würde wie sie.
In der Lobby wurden die Supremes, James und Richmond von einer Bö eisiger Luft begrüßt, die ihnen allen Seufzer der Erleichterung entlockte. Eine hübsche junge Hostess mit hellem rötlichem Haar und einem übertriebenen englischen Akzent nahm die Hochzeitsgäste in Empfang. »Guten Tag«, sagte sie. »Wir sind sehr erfreut, Sie hier im Garden-Hills-Veranstaltungszentrum willkommen heißen zu dürfen. Für die Trauung Swanson/Abrams gehen Sie bitte den Flur entlang bis zur Tür, die hinaus in den Garten führt.« Und sie wies ihnen den Weg. Ihre Instruktionen wurden von ausladenden Armbewegungen begleitet. Sie trug einen engen, grauen Rock und eine sehr tief ausgeschnittene weiße Rüschenbluse. Ihre Brüste wackelten bei jeder ihrer großen Gesten, und Richmonds Bemühungen an die Decke statt ins Dekolleté der jungen Frau zu starren, wie es ihm seine Natur mit Sicherheit befahl, waren bewundernswert. Für seinen Einsatz musste Clarice ihrem Mann eine Eins geben.
Anders als Richmond, der sein Bestes gab, um zu beweisen, dass er ein anderer Mann geworden war, war Clarice nicht sicher, wie viel Einsatz von ihrer Seite aus angemessen war, wenn es um ihre Ehe ging. Die neue Clarice genoss es, Richmond als ihren heimlichen Geliebten zu haben – sie hatte ihren Freundinnen nicht erzählt, dass sie wieder ab und zu ihre Nächte miteinander verbrachten. Aber die alte Clarice, diejenige, die alle Regeln kannte und die danach verlangte, sie zu befolgen, war zurück. Irgendwie war Clarice vom Feiern ihrer neugewonnenen Freiheit dazu übergegangen, sich wegen ihres Strebens nach Vergnügen schuldig zu fühlen. Sie hatte sogar angefangen, stolz darauf zu sein, Richmond dann fortzuschicken, wenn sie am meisten wollte, dass er blieb. Schon komisch, wie leicht es war, in all diese Fallen zu tappen – Schuld, Schamgefühl, Wut. Man kann zwar das Mädchen aus der Calvary-Baptist-Kirche holen, aber nicht die Calvary-Baptist-Kirche aus dem Mädchen , dachte sie.
Am Ende des Flurs standen zwei junge Männer in weißen Uniformen neben einer Flügeltür aus massivem Eichenholz. Als die Supremes, Richmond und James näherkamen, hielten die Männer ihnen die Tür auf und machten den Blick auf einen riesigen, spektakulären Garten frei. Es war der am aufwändigsten angelegte Garten der Stadt, höchstens Barbara Jeans mit Preisen ausgezeichnete Gärten konnten ihn womöglich übertreffen. Kompliziert zugeschnittene immergrüne Pflanzen säumten rote Ziegelmauern. Filigrane Kletterpflanzen rankten sich aus Steintöpfen um Pfeiler, die dem Stil römischer Ruinen nachempfunden waren. Blumen aller Art in hellen, leuchtenden Farben umgaben die Hochzeitsgäste.
Barbara Jean fasste Clarice am Arm. »Das ist unglaublich. Die müssen die Pflanzen hier jede Woche austauschen, damit sie immer so aussehen.«
Zugegeben, der Garten war eine Attraktion. Leider erntete das direkte Sonnenlicht, das den Pflanzen hier so guttat, nicht viel Beifall von den Hochzeitsgästen. Die Sonne brannte auf sie herunter und wurde schnell zum
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