Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
ihm verändert hatte.
Da musste sie wieder an ihr Gespräch mit Veronica denken. Sie sagte: »Richmond, sag mir eins. Hast du das Gefühl, dass ich dich vernachlässigt habe oder dass du einen geringeren Stellenwert in meinem Leben hattest, im Vergleich zu Odette oder Barbara Jean?«
Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er dachte, sie stelle ihm damit eine Fangfrage. »Warum fragst du das?«
»Ach, etwas, das Veronica heute zu mir gesagt hatte, hat mich zum Nachdenken gebracht.«
Er dachte einen Moment darüber nach und sagte dann: »Weißt du, wenn du mir diese Frage vor ein paar Wochen gestellt hättest, hätte ich ja gesagt. Aber nur, damit du dich schuldig fühlst und vielleicht wieder nach Hause kommst. Aber wenn ich ehrlich bin, war ich immer froh, dass du die anderen Supremes hattest. Ich denke, das hat mir das Gefühl gegeben, dass es okay ist, wenn ich mit Ramsey loszog oder bei all meinen anderen … na ja, lass es uns Aktivitäten nennen. Aber wenn es um dich und mich geht, dann habe ich mich von dir immer nichts anderes als geliebt gefühlt, und das ist die Wahrheit.«
»Danke, Richmond. Ich weiß zu schätzen, dass du das sagst. Das ist wirklich lieb von dir.«
»Was soll ich sagen? Ich bin eben ein netter Kerl. Das ist ja auch der Grund, warum du mich geheiratet hast, oder?«
Sie erinnerte sich an die Zeit ihrer jungen Liebe und an das Feuer, das sie immer gespürt hatte, wenn sie Richmond sah oder auch bloß an ihn dachte und sagte: »Nicht ganz.«
»Nein, ich nehme an, es war, weil ich deine Mutter auf meiner Seite hatte.«
»Zum Teil. Aber um ehrlich zu sein, war es etwas, was Big Earl zu mir gesagt hat, das mich wirklich den Entschluss fassen ließ.«
»Big Earl?«
»M-hm. Ich hatte bereits mit Mutter, Reverend Peterson und sogar mit der alten Hochstaplerin Minnie gesprochen und zögerte noch immer. Also schaute ich eines Abends im All-You-Can-Eat vorbei, um mit Big Earl zu reden. Odette und Barbara schworen beide darauf, dass der Mann ein Genie ist, und ich habe ihn immer gemocht. Also dachte ich mir, warum nicht ?«
»Big Earl ist für mich eingetreten, ehrlich?«
»Er sagte, dass du, wenn du erst einmal erwachsen sein würdest, ein guter Mann wärst.«
Richmond schluckte geräuschvoll, und dann weitete sich sein Mund zu einem breiten Lächeln. »Verdammt, ich vermisse den alten Mann.«
Clarice hatte es der guten Stimmung an diesem Abend zuliebe mit etwas anderen Worten ausgedrückt. Was Big Earl wirklich gesagt hatte, war: »Clarice, Liebes, ich glaube fest daran, dass sich Richmond Baker in etwa fünfundzwanzig Jahren wahrscheinlich als guter Mann entpuppt. Aber bis dahin wirst du es schwer mit ihm haben.« Mit dem Feuer der Leidenschaft in ihrem Blut hatte Clarice damals beschlossen, in Big Earls Worten eine glühende Befürwortung ihrer Wahl zu sehen. Erst Jahre später wurde ihr klar, dass sie einer optimistischen Vorhersage zuliebe eine deutliche Warnung ignoriert hatte.
Und diese Vorhersage war sehr optimistisch gewesen. Big Earl hatte Richmonds Wandel innerhalb von fünfundzwanzig Jahren vermutet. Wie immer hatte Richmond sich Zeit gelassen.
Eine Weile sagten beide gar nichts. Dann sah Richmond auf die Uhr. »Ich denke, jetzt sollte ich wirklich mal los.«
Clarice streckte die Hand aus und streichelte ihm über die Wange und ließ sie dann ein paar Sekunden dort verharren, um das vertraute Gefühl seiner Bartstoppeln an ihrer Handfläche zu spüren. Sie dachte einen Moment nach und sagte dann: »Geh nicht. Bleib hier.«
Seine Augenbrauen hoben sich, und er fragte: »Meinst du das ernst?«
»Ja, warum nicht? Wir sind doch verheiratet, oder?«
Als er von seinem Stuhl aufsprang, lächelte er sein fröhliches, anrüchiges Lächeln, das sie schon immer so an ihm geliebt hatte. Dann legte er einen Arm um sie und zog sie an sich. Sie küssten sich den ganzen Weg durch die Küche, den Gang, das Wohnzimmer und die Treppe hinauf.
Clarice hatte gedacht, es wäre wie in alten Zeiten. Sie und Richmond, die gemeinsam die Liebesfreuden von verheirateten Leuten genossen. Eine Mischung aus Leidenschaft und Effizienz, gewonnen durch jahrelange Vertrautheit. Aber es war besser als früher. Zum ersten Mal alleine zu leben hatte ihren Blickwinkel verändert. Sie musste in Richmond nicht mehr den enttäuschenden Ehemann sehen. In ihrem eigenen Haus war er ihr Liebhaber, der auf ihren Wunsch hin da war, zu ihrem Vergnügen. Auf diesem Gebiet hatte Richmond sie noch nie enttäuscht. Und von
Weitere Kostenlose Bücher