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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Rocksaum untersDoppelkinn geklemmt. Marmorfliesen in Schachbrettmuster bedeckten den Fußboden des Kabinetts. Auf je einer weißen und einer schwarzen Platte wurzelten Minnamarthas Füße. Ihre staubigen Schuhe schienen nicht in den Glanz des Refugiums zu passen. Zeichen ordinärer Fußmärsche, die sich nun, während der Körper auf das geputzte Brillenoval niedersank, unter fallendem Textil verbargen.
    Groschenkramen in Handtasche und Portemonnaie, Entrichtung eines noblen Trinkgeldes, das die weiße Dame sofort veranlasste, sich mit kariertem Wischtuch wiederum über die Brille zu werfen. Wir aber marschierten über rote Läufer dem Erfrischungsraum entgegen, der sich durch eine Geruchsmischung von Würstchen, lauwarmem Kartoffelsalat und Kaffee ankündigte. In einem der durch Glaswände abgetrennten Abteile nahmen wir Platz. Bestellten reichlich, verzehrten geschwind. Minnamartha war nach mehr zumute. Da sie in den Augen der Bedienung nicht als verfressen gelten mochte, zogen wir drei Abteile weiter, nahmen wiederum Platz. Bestellten nun Erdbeerkuchen mit Sahne, Kaffee, Kakao. Oh Zeit der Sättigung! Hinten durchs Fenster blickten wir auf ein lang gestrecktes gelbes Gebäude, in dem, wie ich bald erfuhr, Sturmführer Gallerts oberster Chef residierte, von meiner Mutter als Führer bezeichnet, von Ede, wenn keiner hinhörte, als das Mistvieh mit dem Bärtchen. Konditornd durchs Kaufhausfenster blickend, sah ich ihn nie. Wir begannen den langen Einkaufsweg, um jene herrlichen Dinge zu erstehen, die meine Mutter fürs Laubenleben benötigte. Nach einigen Stunden waren wir beladen mit: Einer zusammenfaltbaren Patent-Reise-Wärmflasche. Dem halbflüssigen Topfflicker Felix. Selbst zu befestigenden Schuhabsätzen. Einem von innen erleuchteten Stopfpilz. Einem Hohlsaumzusatzgerät für alle Nähmaschinen. Einem Dutzend Speziallockenwicklern. Ferner besaßen wir nun achtzehn Meter Gurtband, fünf Tafeln Druckknöpfe Pryms Zukunft , vier Büchsen mit Marinade und zwei mit Spiralfedern versehene Mechanismen zum Festhalten von Rührschüsseln auf dem Küchentisch, genannt Klammeraffe, das neue Spezialpatent.
    Mit dieser Last verließen wir Punkt sieben, beim letzten Klingelzeichen, das Kaufhaus, um uns in eine schräg gegenüberliegende Stadtgaststätte zu begeben, wo es für vierzig Pfennige eine große Terrine Erbsensuppe mit Einlage gab. Brötchen gratis. Zu zweit löffelten wir die Terrine aus. Schweigend.
    Inzwischen waren draußen am Platz die Lichter angegangen, die Schokoladenmohren leuchteten jetzt in allen Farben, und grell huschten die Leuchtschriftbuchstaben am dunklen Himmel von links nach rechts. Die Erbsensuppe schülperte angenehm in meinem Magen, wenn ich neben meiner Mutter zum Bahnhof trippelte. Die Vorortbahn brachte uns heim.
    Erbsensuppe. Wo noch? Husarentag! Jene Stiefel, die ich aus dem Müllchimborasso des Kellers grub, der Buntdruck mit Ede in gelb geschnürter Litewka nämlich stellten durchaus Reales dar. Einmal im Jahr traf sich Reserve 1908 im knöcheltiefen Sand des Exerzierplatzes von Döberitz, um Tradition zu pflegen.
    Wer schützt das Vaterland mit Macht
wenn’s blitzt und kracht?
Das macht Reserve neunzehnhundertacht!
    So war auf einem Bierkrug zu lesen, der neben einer gelben Rauchverzehrerkatze auf der Sofaumrandung stand. Seine Gegenwart drängte sich immer auf, wenn ein Zug von oder nach Lehrte vorbeirollte, weil dann der adlergekrönte Zinndeckel dieses vaterländischen Bierkruges klapperte. Es war mir verboten, das kostbare Erinnerungsstück herabzunehmen, gar, damit zu spielen, oder, wie es hieß, »anderen Unfug zu treiben«.
    Nun aber: Döberitz und Gardekavallerie: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd. Ins Feld, in die Freiheit gezogen … Ede summte das schöne Lied, während wir uns der Höhe einhundertzwölf näherten, dem Versammlungsort vieler Veteranen, alle, wie Ede, im blauen Anzug mit der Kyffhäusernadel am Aufschlag. Man gab sich zackig trotz des Zivils, alte Kameraden wurden begrüßt, grüßten froh wieder: »Mönsch, Ede, weißt du noch, in Nisch?« Das war Balkanfront, vierzehn-achtzehn. Das Traditionsregiment war eine Panzereinheit, und Oberst Saske ließ vor den Augen der bejahrten Krieger die flinken Raupenbienen sich zum Frontalangriff entwickeln, dass Döberitzens Sand zum Himmel stob. Trompeter in alten Husarenuniformen bliesen zum Sammeln, und dann fuhr im Galopp die Feldküche auf, und die Veteranen fassten Erbsensuppe mit Speck.
    Dicke, dicke

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