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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Meister die Kappe fortnahm und bis vier zählte. Aber ich hatte auch nicht ernsthaft damit gerechnet. Das Halbprofil, darauf kam es doch an!
    Zwei Tage später bekamen wir die Abzüge, oval geschnitten, auf Passepartout geklebt und geschützt von einem Blatt feinsten Seidenpapiers. Das Ohrläppchen zeigte sich deutlich frei.
    Ein zweiter Besuch folgte, bei einem Herrn, der mir riesige Zirkel an Stirn, Hinterkopf und Schläfen setzte, dann rechnete, und den Beweis mitgab, dass Karl Kaisers Schädelindex sich im Rahmen arischer Möglichkeiten bewegte.
    In diesen Wochen trübte eine dumpfe Atmosphäre die sonst so fröhliche Stimmung in unserer Laube. Auch Minnamartha, erfuhr ich, hatte sich ähnlichen Prozeduren unterziehen müssen, denn bei ihr fehlte der Ahne. Sie nahm fünf Pfund ab, vergaß ihre Eieruhr aufzuziehen und litt unter tausend Augen, die in der Kolonie Tausendschön beobachteten, ob die Angelegenheit gut oder schlecht für uns ausgehen würde. Denn schnell hatte sich herumgesprochen, dass die Möglichkeit bestünde, Minnamartha undmich als nicht rasserein einzuordnen. Doch fotografische Platten und Zirkel rehabilitierten uns, wir bekamen unsere arische Anerkennung.
    Ich kam in das Alter, in dem Kinder nützlich zu sein haben. Auch Jungen. Mädchen sind nützlicher. Sie spülen ab und polieren staubige Fußböden mit dem Mop. Mich hielt Ede an, im Garten Unkraut zu jäten, und weil ich das ungern tat, gab es darüber einige Auseinandersetzungen. Auf die Dauer blieb ich Sieger.
    Doch kam die Zeit der Ernte heran, plumpste erst das Obst, so halfen keine Ausreden wie beim Unkraut. Hier hagelte es Landsberger Renetten. Dort wollten dicke, saftige Williams-Christ-Birnen dem Zugriff genäschiger Wespen entzogen sein. Die schlimmste Geißel jedoch, und damit begann die Erntezeit, waren drei Schattenmorellenbäume.
    Sauerkirschen! Man kann ein Pfund davon essen oder zwei, oder auch zehn. Die Bäume aber lieferten Zentner. Minnamartha stellte ihre Uhr auf sechzig Minuten, Menschlein baggerte im Keller diesmal nicht Husarenstiefel aus, sondern ein gutes Dutzend Spankörbe, die im letzten Herbst dort unten verstaut worden waren, liftete die leicht verschimmelten, von Jahr zu Jahr mehr zertrümmerten, mit Strippe geflickten Behältnisse ans Tageslicht, und auf ging es zu den Bäumen, an denen die Sauerkirschen durchs Laub leuchteten. Bevor wir aber in die Bäume klommen, marschierte Alfons Reh ein, die zahme Dohle Jakob auf der Schulter.
    »Mann«, sagte Ede, »später, später. Die Schattenmorellen sind reif. Wir müssen …«
    »Weiß ich, weiß ich«, krächzte Herr Reh, und auch die Dohle sagte »weiß ich«, und dann meinte Herr Reh, Schattenmorellen gäbe es gar nicht.
    Minnamarthas Uhr tickte, ich stand da mit den Körben und offenem Mund, die Dohle schaute unschuldig ins Gelände, und Herr Reh schnarrte los: »Was ihr meint, is ’ne Späte Amarelle, habe ick ooch, zwei Bäume. Ist noch massig Zeit zum Pflücken, da gehen doch die Stare nicht ran. An die sauren. Ich habe ja auch noch Büttners späte rote Knorpelkirsche, könn’se sich nich vorstellen, der Baum schwebt ja in de Luft, so viel Stare. Ick hebe immer den Tesching, denn haunse meistens ab. Aber kann ick den janzen Tach untern Kirschbaum sitzen? Ick dreh mir um, füttere Jakoben, der mach keine Kirschen, schon sind die Biester wieder da. Denn beißense in die Kirschen und schmeißen die mir ooch noch uffn Kopp. Son Ärger hat man mit späte Knorpelkirschen sage ick Ihnen. Ooch große Prinzessinkirsche habe ick, is derselbe Ärger. Nur früher. Allet schon jefressen. Wat machense denn mit de späte Amarelle?«
    »Schattenmorelle«, korrigierte mein Vater sanft. Aber Herr Reh wollte davon nichts wissen, »Amarelle«, krächzte er, und »Amarelle« krächzte auch die Dohle Jakob.
    Ede gab sich geschlagen. »Einwecken«, sagte er. »Aber nun müssen wir wirklich.«
    »Einwecken, jut, jut«, meinte Herr Reh, oder jedenfalls verstanden wir seine Grobhobelgeräusche so. Dann ging er. Wir in die Bäume, eine Stunde sollten wir ja schon oben sein, Minnamarthas Uhr musste gleich klingeln.
    Wenn wir mal beim Kirschenpflücken waren, gabs keine Ruhe, bis die Körbe voll oder die Bäume leer waren. Wir pflückten, zwanzig Minuten hingen wir im Grün, da bildete sich jenseits vom Zaun eine Volksversammlung. Wanda Puvogel stand da wie der Bismarckturm an der Havelchaussee, einen Finger in der Nase, und grinste. Drum herum Gigi, Häschen, sogar Irmchen, die nur

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