Muckefuck
selten ihrenGarten verließ, aus Angst, es könnte donnern. Schließlich kam auch Ingrid, wie immer eine Hand unter dem Rock, und auch ein paar Erwachsene standen im Hintergrund.
Und alle grinsten. Oder lachten laut. Ingrid sang ihr Zitronenlied in passender Abwandlung, indem sie Zitrone durch Kirsche ersetzte. Sie sang: »Kürsche, Banane …«
Sie grinsten, sie lachten, tanzten auf dem Sandweg umher, und amüsierten sich wie Bolle aufm Milchwagen. Warum?
Schamrot, wie ich damals zwischen den Zweigen hing, erntend, erlebte ich Minnamarthas zweiten Tick. Wahrscheinlich hatte sie ihn durch jahrzehntelange Lektüre jener Kleingärtnerbibel entwickelt, die Das grüne Jahr hieß: Sie meinte, die Fruchtansatzknoten der Kirschbäume würden beschädigt, wenn man die Kirschen mit Stumpf und Stiel herunterriss. Ließ man andererseits die Stiele am Baum, hatte man Matsch im Körbchen.
Also verfiel meine Mutter auf die sinnreiche Idee, uns jedem eine – Schere in die Hand zu drücken, mit dem Befehl, die Kirschenstiele mittendurchzuschneiden! Solcherlei sprach sich herum, kaum zu glauben, das musste man gesehen haben! Und so ernteten wir Jahr für Jahr vor großem Publikum, schnapp, die Kirschen ins Körbchen, Gelächter draußen, Minnamartha ungerührt, manchmal klingelnd, Äste gefährdend, wenn sie sich trotz Übergewicht Kirschen schneidend in die Äste schwang, die blitzende Schere im Anschlag, Ede grinste, auf Hilfskräfte lauernd, die er zu locken suchte mit dem Satz: »Wir haben noch ’ne Schere.« Mit Erfolg fast immer, nach einiger Zeit, meistens schon kurz nach dem ersten Klingeln von Minnamarthas Zeitzerhacker, saßen ein paar Nachbarskinder mit in den Zweigen, Reservescheren schwingend, die nur einmal im Jahr benutzt wurden, bei der Kirschenernte eben, derSchattenmorellenabschneidung oder Einbringung der Späten Amarelle, falls Herr Reh recht hatte.
Diesmal bekamen wir Ingrid dazu, die ausnahmsweise beide Hände für eine ihr wenig normal erscheinende Tätigkeit benutzte. Ingrid schmückte ihre Ohren mit roten Kirschenohrringen, verschmierte sich den Mund mit rotem Saft und rotem Mus. Und auch das in etwa weiße Makohöschen Ingrids bekam rote Flecken, denn sie zerdrückte mit ihrem Mädchenpopo manche überreife Kirsche. Ingrid klomm von Ast zu Ast, blieb am Kirschbaumharz hängen, aus dem sich wundervolle weiche Bernsteinkugeln formen lassen, ihre langen braun gebrannten Beine und Arme stachen durchs grüne Laub, ihre Lippen schmausten Rotes und sie fragte: »Warum klingelt es denn hier?«
Minnamartha vermied es, diese Frage zu beantworten, von mir bekam sowieso niemand Auskünfte, schon gar nicht, wenn ich damit beschäftigt war, Schamröte zu bekämpfen oder wenigstens zu verbergen, Ede trug gerade volle Körbe zur Veranda. Ingrids Frage blieb im Kirschbaum hängen.
Wanda Puvogel stand vorm Gartenzaun, jetzt auf einem Bein, den gehobenen Fuß rieb sie an der Wade, und grinste dumm. Eine Doppelpackung Persil! Das stand noch auf dem Konto Wanda. Ich schmiss ihr eine faule Kirsche an den Kopf. Wanda tat, als habe sie es nicht bemerkt.
Weckgläser klaubte Minnamartha aus dem unergründlichen Keller unter der Veranda, der Weckapparat mit dem Thermometer, das oben im Deckel steckte, schnaubte und puffte, und gefüllt wanderten die Gläser wieder in den Keller. Auf Papierbögen häuften sich die Kirschkerne, denn selbstverständlich wurden die Schattenmorellen – lassen wir es nun einmal dabei, trotz Herrn Reh – entstielt und entsteint, bevor sie in die Gläser kamen. Wenn man dieKirschkerne knackte, fand man innen ganz kleine weiße Kerne, die angenehm bitter schmeckten. »Nach Blausäure«, sagte Ede. In Mengen genossen, soll das giftig sein.
Kirschen runter, Ferien bald zu Ende – das traf nun auch für mich zu, schon warteten die Freunde mit Vorgartenglatze und Bleyle-Strickanzug, und die bunten Posthornstifte. Nun war ich groß verhältnismäßig groß jedenfalls, und das war vielleicht der Anlass, dass in meinen Eltern ein kühner Entschluss reifte. Das Programm »raus aus der Laube« startete diesen Sommer.
Dieses Programm brachte beträchtliche Unruhe in unser Leben, denn es hieß nichts anderes als: Ein Häuschen muss her. Ein Häuschen mit Garten … Ich merkte, dass untergründig was los war. Ede und Minnamartha spazierten jetzt zuweilen an den milden Sommerabenden aus der Kolonie heraus, in Richtung Siedlungshäuser.
Ein höchst erstaunlicher Vorgang! Denn wer was auf sich hielt, vermied,
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