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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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schmückten. Auch ein Segelboot aus dem Spielzeugkiosk an der Promenade kam ins Gepäck. Mit zwei Masten.
    Wieder brausten wir über die Landstraßen, das Korn war noch gelber geworden, bald würden die Bauern anfangen, es zu mähen. Wir fuhren wieder an den Bisons vorbei, in die große Stadt zurück, die immer noch von der Hitze flimmerte und glühte. Großmutter stand vor der Tür und begrüßte uns. »Der Lümmel sieht ja endlich mal jesund aus«, sagte sie.
    Ede bekam viel zu tun in den nächsten Tagen. Die Taxen hatten einen Service nötig und neue Zündkerzen, die Abrechnungen mussten geprüft werden, einige Wagen brauchten neue Reifen. Das hörte ich gerne, denn Ede brachte mir dann Jo-Jos mit. Jo-Jo-Spielen war damals fast eine Epidemie. Alle Welt spielte Jo-Jo, auch Damen mit Ponyfransen und langen Zigarettenspitzen wie meine Tante Lizzi, oder Männer wie Onkel Adolar, sogar Onkel Hubert, der Bierfahrer. Er hatte gerne ganz große Jo-Jos mit Holzscheiben.
    Ein Jo-Jo besteht aus zwei eng aneinanderliegenden kreisrunden Scheiben beliebigen Materials. Um die Nut zwischen beiden Scheiben ist eine Schnur gewickelt, deren eines Ende der Spieler fest in der Hand hält. Durch rhythmische Auf- und Abwärtsbewegungen des Unterarms muss er die Doppelscheibe auf der Schnur tanzen lassen.
    Das war Jo-Jo.
    August. Nachmittags zog hinter den Funktürmen das Gewitter heran. Aber es dauerte nur eine Dreiviertelstunde. Abends war es im Garten angenehm kühl. Onkel Hubert, den das neue Haus nun interessierte, kam von seinem Kleingarten herübergeradelt, manchmal mit Mathilde, die ein neues Damenrad besaß. Der Eimer mit gekühlten Bierflaschen stand bereit, Großmutter knackte mit ihren restlichen Zähnen Kirschkerne und aß den Innenkern. Edes ewige Zigarre, Marke Boenicke Fehlfarben zu dreißig Pfennigen, glühte in der Dunkelheit. Mein Jo-Jo aus vernickeltem Blech fuhr glitzernd an der Schnur auf und ab. In der Nähe der Garage roch es nach Benzin und neuen Reifen. Schon Ende August fing die Schule wieder an.
    Mich faszinierte, dass Mathilde winzig kleine Büstenhalter trug. Sie stopfte ihre Dessous in eine Badetasche, wenn sie im Strandanzug bei uns im Garten lag. Ich holte Othmar und gewann seine Gunst wieder, weil ich ihm heimlich diese Kleidungsstücke vorführte.
    Unsere Eltern merkten wenig von dieser Neugier, obwohl ich regelmäßig aus der zweiten Reihe auf dem Vertiko ein Buch auslieh, das sie eigentlich hätte auf die richtige Fährte bringen müssen. Othmar und ich saßen in einem der abgeernteten Kirschbäume auf unserem Laubengrundstück. Den Platz hatten wir nur erreicht, indemwir vom Feld her über mehrere Zäune kletterten, um Siegfried und seinen Mannen zu entgehen. Im Grün verborgen lasen wir nun alles über die schädlichen Folgen der Selbstbefriedigung, über Beischlaf und Schwangerschaft. Als wir das Buch ausgelesen hatten, fühlten wir uns wissend.
    Neuland und Fremde überall. Karl Kaiser aus der Laube hatte sich mit der Welt der Siedlungshausbesitzer abzufinden. In den Häusern der anderen Kinder sah es ein bisschen prächtiger aus als bei uns. Vieles, bildete ich mir ein, ließ bei uns zu wünschen übrig. Manchmal schlich ich mich in die Kolonie Tausendschön, zur Laube, öffnete mit dem Schlüssel, den ich heimlich an mich genommen hatte, das schon rostige Vorhängeschloss und setzte mich im leeren, dunklen Zimmer auf den Fußboden. Allein.
    Dann zog es mich wieder in die anderen Häuser mit ihren bis zum Boden reichenden Vorhängen, den polierten Möbeln, den weichen Teppichen, kühlen Lederklubsesseln und den Blumenstillleben über der Esszimmeranrichte. Ich war nicht mehr Laubenkarl, aber Häuserkarl war ich auch nicht. Edes und Minnamarthas Einfamilienhaus war eine Schleuse, in der ich hängen blieb. Ein Vor oder Zurück schien es nicht zu geben. Wir besaßen das einzige Sofa mit Umrandung in der Siedlung, den einzigen Karnickelstall, den einzigen Kavalleristenbierkrug, den einzigen Schleppsäbel. Selbst Herr Reh, der Altkommunist im kleinsten Haustyp, hatte sich besser angepasst. Er freute sich über einen modernen Wohnzimmerschrank, Mittelteil flambiert Birke, eine wild gemusterte Couch und über einen Musikschrank in imitierter Eiche. Nur seine Fahne war noch kleiner als unsere, es musste sich also um eine andere Lieferung handeln als jene, die Puvogel für die Kolonie eingekauft hatte.
    Herr Reh musste regelmäßig von einem Nachbarn inbrauner Uniform ermahnt werden, sein Fahnentuch

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