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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Mal genau so aus wie die Leute um ihn herum. Das gefiel mir.
    Die Zimmer der kleinen Pension, in der wir lebten, unterschieden sich kaum von zu Hause, weil Minnamartha auch Sofakissen und Zierdeckchen eingepackt hatte, die sie überall ausbreitete. »Ist es nicht schöner so?«, fragte sie stolz, im Gesicht glühend. »Wunderbar«, sagte Ede. »Wie in der Bärlappstraße.«
    Es fehlte nur der Wandbehang, der Reiter am Bodensee und der Husarenkrug.
    Wie Ede und Minnamartha einander mehrmals täglich versicherten, erholten wir uns glänzend. An Großmutter schickten wir eine Postkarte: »Gruß aus Ahlbeck«. Ede zog seinen schwarzen Badeanzug mit fast knielangen Beinlingen an, trabte im Bademantel an den Strand und schwamm weit hinaus. Meine Mutter bezog den Strandkorb, der unter ihrem Gewicht jeden Tag ein bisschen weiter einsank, und versteckte sich hinter Strohhut und aufgespanntem Sonnenschirm, einem lieblichen Modell, weiß mit blauen Blümchen.
    Ede stieg aus dem Meer, an dessen Rand ich stumm meine Kanäle in den nassen Sand grub, und zog mich mit sich zum Burgenbau. Denn es war hier eisernes Feriengesetz, den Strandkorb mit einem möglichst hohen Wall zu umgeben. Wir schaufelten. »Kinder, ich sehe nichts mehr«, rief Minnamartha, wenn sie ihre Mottenpost einmal zur Seite legte. Aber darauf konnten wir keine Rücksicht nehmen. Nur eines unterschied unsere Strandburg von den anderen: Bei uns wehten weißblaue Niveafähnchen. Überall sonst Hakenkreuzpapierfähnchen.
    Am Nachmittag, wenn meine Mutter sich in der Pension auf ein ebenfalls mitgebrachtes Ziehharmonikabett zur Ruhe gelegt hatte, zog Ede seine weißen Hosen an und das dunkelblaue Jackett, und ich meinen Kieler Matrosenanzug mit blauer Mütze und der Inschrift SMS Tirpitz in Goldbuchstaben auf dem Mützenrand. Dann gingen wir auf die Strandpromenade.
    In einer riesigen, weiß und golden bemalten Muschel schmetterte die seemännisch gekleidete Kurkapelle Märsche, mit golden funkelnden Instrumenten. Ede wusste für einige Melodien hübsche Texte, die er mir manchmal, zumErstaunen der Umstehenden, leise vorsang. Etwa: »Wir wollen unsern Kaiser Friedrich Wilhelm wiederha’m, aber den – mit’m Bart, aber den – mit’m Bart.«
    Oder: »Es lebe unser Herr und König, dreiundzwanzig Pfennig sind zu wenig, ’nen Taler woll’n wir haben, und den kriegen wir nicht, – und für dreiundzwanzig Pfennig präsentier’n wir nicht!«
    Oder den allerschönsten vom Sanitätsgefreiten Neumann, der den neuen Büstenhalter erfunden und den Damen damit sehr geholfen hatte. Das konnte ich verstehen, wenn ich an Minnamarthas Doppelbehälter dachte, diese Lawinenbremsen aus starkem Gewebe. Ich war sicher, dass Minnamarthas Modelle aus Sanitätsgefreiter Neumanns Werkstatt stammten.
    Einen Text konnte ich aber auch, doch ein Instinkt befahl mir, ihn besser für mich zu behalten. Vom starken Siegfried hatten wir gelernt, zu einer damals ebenfalls häufig gespielten Marschmelodie zu singen: »Pauline steht im Hemd, vier Finger in den Arsch geklemmt. Und Paul, der steht dabei – und schaukelt sich das linke Ei.«
    Überhaupt entwickelte Ede in den Ferien Sangesfreude. Wir marschierten über die Dünen und sangen. Wir liefen am Strand entlang und sangen. Wir trampelten über die schmalen Sandpfade, die sich von den Dünen durch den Fichtenwald zogen, und sangen.
    Ede wusste viele Lieder. Ganz andere als ich später lernte. Lieder von der Fischerin, der kleinen, vom treuen Husaren und vom Reiter, der drei Lilien umritt. Ich marschierte hinter Ede her, die Schuhe voll Sand. Der Kragen vom Matrosenanzug flatterte in der frischen Brise, die vom Meer herwehte.
    So schön war es damals im letzten Sommer.
    Ein frischer Nordwest wehte am letzten Ferientag. Der Küstendampfer tanzte an der Mole auf gut meterhohen Wellen, ein paar Passagiere, die nach Heringsdorf wollten, verzichteten auf die Reise. Menschlein und andere Nichtschwimmer plantschten in Strandnähe, Ede schwamm wie jeden Morgen hinaus. Minnamartha bemerkte nichts von den Gefahren, in die wir uns begaben. In der Pension packte sie unseren Kram zusammen. Keine leichte Arbeit. Inzwischen waren zwei Beutel original Seesand und etwa hundert Muscheln dazugekommen, auch ein paar Tigermuscheln und eine Große Flügelschnecke. Das Meer rauschte in ihr, wenn man sie ans Ohr hielt. Ich war froh, sie zu besitzen, denn immer hatte ich Gigi beneidet, bei der ein paar Exemplare der Flügelschnecke das Rosenrondell vor der Laube

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