Muckefuck
es. Ich verwechselte ein paarmal m’s und n’s. Doch erschien unsere Intelligenz jenen, die darüber zu befinden hatten, ausreichend. Wieder standen wir, am Beginn des neuen Schuljahres, auf einem kiesbestreuten Schulhof. Die Kastanien an der Mauer hatten schon Knospen. Auf den hellroten Backsteingebäuden lag die Sonne. »Bismarckschule – stillgestanden!« Der Direktor schritt die Reihe der neuen Schüler ab und musterte uns mit klarem Kaiser-Wilhelm-Blick. Dann durften wir Deutschland über alles singen und die Fahne hoch, mit heimlich abgestütztem Arm.
Eines Tages kam ein Parteigoldfasan aus unserer Siedlung zu Ede, einer, der bisher von unserer Existenz wenig Kenntnis zu nehmen geruht hatte.
»Ich gratuliere Ihnen, Heil Hitler!«, sagte er.
»Wozu?«, fragte Ede.
»Ihr Sohn darf jetzt ins Jungvolk. Trotz der Schwierigkeiten, die es damals mit seiner arischen Abstammung gab.«
Ede blieb ganz ruhig. »Und?«, sagte er, »was geht Sie das an?«
»Wir haben alle dafür gestimmt, dass Ihr Karl in das Jungvolk kommt«, sagte der Goldfasan.
»Vielen Dank!« Ede drehte sich um und ließ den braunen Würdenträger auf dem Hof stehen.
»Wer war denn das?«, fragte Minnamartha.
»Ein Hosenscheißer. Karl muss Pimpf werden.«
»Dann müssen wir eine Uniform kaufen.«
»Es ist zum Kotzen«, sagte Ede. Minnamartha meinte wieder einmal: »Ede, verbrenn dir nicht die Finger.« Ede zog seine lederne Geldkatze heraus und zählte ein paar Scheine auf den Tisch. »Das muss reichen«, meinte er.
Ich bekam eine schwarze kurze Ribbelsamthose, Koppel, Schulterriemen, Braunhemd und Schlips. Der Schulterriemen war mit Ehre verbunden, den durften wir zuerst noch nicht tragen. Aber mein Auge glänzte. Braun war ich von klein auf gewöhnt. Durch Herrn Gallert. Und auch Othmar und meine anderen neuen Freunde und Schulkameraden trugen ja die Uniform.
Ich war ein kleiner Marschierer. Die Beine immer noch dünn und etwas krumm, rutschende Kniestrümpfe. Die Knie zerschunden. Die schwarze Hose war ein bisschen zu lang. Ziemlich viel Dreck saß unter den Fingernägeln. Die Goldfasane strahlten trotzdem. Wir schmissen den rechten Arm hoch, die Knotenschlipse flatterten, wir brüllten den neuen deutschen Gruß. Ede hielt sich die Ohren zu.
Bald wussten wir, wie wichtig es war, sich an die richtigen Traditionen zu halten. Joachim Hans von Ziethen, Reitergeneral, und der Alte Fritz mit Dreispitz und Windhunden genügten da nicht mehr. Auf andere Werte griffen unsere Führer zurück. Wir wurden Wikinger.
Großmutter schüttelte den Kopf. In Posen, Westpreußen, hatte sie von Wikingern nie etwas gehört. Wir Pimpfe aber stickten die Namen großer Wikingerhelden auf unsere schwarzen Wimpel. Ede sagte, mit dem Kopf schwebten wir in Walhalla und mit dem Arsch führen wir dritter Klasse. Das wollten wir nicht einsehen. Aki, der listige Jomswikinger, stach Odysseus, mit dem wir in der Schule oberflächlich in Berührung kamen, bei Weitem aus. Und die Schule schien wohl auch auf Odysseus und seine Genossen nicht so viel Wert zu legen. Denn in Erdkunde mussten wir nun manches über Raum im deutschen Osten lernen, und in Biologie die Mendel’schen Gesetze.
Jetzt ließen wir die Fahnen weit wehen und die morschen Knochen zittern, wir erkletterten die Mauern und zerschmetterten die Türme.
Der Ziegenmilchhandel mit Herrn Reh schlief ein. Er vermied es, uns zu treffen. Sahen wir ihn doch einmal mit seiner zahmen Dohle auf der Schulter, so radelten wir hochmütig an ihm vorbei, in rasendem Tempo, denn drei Uhr Birkenwäldchen war die Parole. Dort wartete schon Kulle Rosenbusch auf uns, der Jungenzugführer. Er holtedie Klampfe aus dem Futteral. »Uns geht die Sonne nicht unter«, tönte es aus dem Gebüsch. Zweistimmig.
Zu Hause lasen wir zwar Karl May und Tom-Shark-Hefte. Doch im Birkenwäldchen wurden wir zu strammen Hoffnungen der Bewegung, flink wie Windhunde, hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder. Zwischendurch wichsten wir unsere Koppel und putzten an den Schuhen sogar die Stege.
Ede polierte weiter seine Taxen, es wurden immer weniger, weil man seine Konzessionen an alte Nazis übertrug. Ede fuhr nun wieder eine Schicht selbst, jeden zweiten Tag. »Verbrenn’ dir nicht die Finger, Ede«, sagte die Mutter jetzt immer öfter. Sie schlug Ede allen Ernstes vor, er solle sich auch so einen Bonbon anstecken, damit er die übrigen Taxen behalten dürfe. Aber Ede, mein Vater, wollte nicht.
Die Großmutter,
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