Muckefuck
Rahmen der Butterbewirtschaftung hatte man den Bauern verboten, selbst zu buttern. Sie mussten ihr volles Milchkontingent abliefern und bekamen ihre Butter von der Molkerei zugeteilt. Behördenangestellte reisten auf die Dörfer und versiegelten die Zentrifugen. Manche Bauern besaßen zwar noch ein altes Butterfass für Handbetrieb, aber das war eine zeitraubende Prozedur, und viel Butter gab es auch nicht pro Gang. Inzwischen war jedoch die Butter wertvolles Handelsobjekt auf dem schwarzen Markt geworden. Die Städter kamen mit ihren Fettrationen nicht aus und zahlten Höchstpreise. Solche schwarze Butter konnte man aber nur herbeischaffen, wenn man wieder mit Zentrifugen butterte.
»Sie brauchen Zentrifugen«, sagte Großmutter. »Wir liefern an Onkel Willi Zentrifugen, und er verteilt sie weiter und besorgt uns Hühnerfutter.«
Meine Mutter tippte sich an die Stirn. »Tsss, tsss«, machte sie. »Da habe ich doch zwei Fragen. Erstens: Meinst du, ein Ortsbauernführer, ein Nazi wie Onkel Willi, verteilt verbotene Zentrifugen? Zweitens: Woher willst du die kriegen?«
»Geh mal raus«, sagte Großmutter zu mir. Aber dann vergaß sie, dass ich zuhörte, und meldete: »Da kenne ich einen Klempner, auch aus dem Korridor. Ich weiß, er kann so was machen.«
»Und Willi?«
»Willi liebt Geld. Der macht mit. Da kannste Gift drauf nehmen.«
Minnamartha nahm ein neues Fondant, und damit begann unsere Schmuggelorganisation zu arbeiten. Der Mann aus dem Korridor baute eine vereinfachte Form jener Lefeldt’schen Zentrifuge nach, die damals allerorts inBetrieb war. Prinzip: Mit etwa tausend Umdrehungen in der Minute werden die schwereren Teile der Milch nach außen geschleudert, während die leichteren sich um die Achse herumballen. So gibt es außen Magermilch und innen Fett, also Butter.
Die Ausmaße unserer Schwarzhandelszentrifugen waren so gewählt, dass man die Apparate auseinandergenommen in Koffern und Paketkartons verstauen konnte, von Ernie Puvogel bekamen wir dessen Restbestände an Persilkartons. Minnamartha reiste tatsächlich aufs Land, Onkel Willi und die anderen Bauern waren sehr glücklich, und die Persilkartons trafen, mit Hühnerfutter gefüllt, per Post wieder bei uns ein.
Schwere Strafen standen auf solchen Vergehen, Sabotage war das gegen die Kriegswirtschaft. So wickelten wir die Tauschgeschäfte mit großer Vorsicht ab, und ich glaube, wir flogen nur deshalb nicht auf, weil unser Verteiler ein über jeden Verdacht erhabener Ortsbauernführer war: Unser Onkel Willi!
Die Stadt war dunkel geworden. An den langen Winterabenden drang kein Lichtschein mehr aus den Fenstern, nicht nur, weil wir, wie vorgeschrieben, den rationierten Strom sparten. Dunkel machten die einstige Lichterstadt jene Maßnahmen, die uns gegen feindliche Flieger schützen sollten. Noch waren sie ja nicht da, wir siegten, die polnische Luftwaffe war am Boden zerstört, wie es in den Wehrmachtsberichten hieß. Verdunkelungsrollos dichteten alle Offnungen ab, durch die ein Lichtschein nach außen fallen konnte. Noch heute träume ich, dass ich vergessen habe, ein Rollo zu schließen. Blockwart Kutschke schleicht wie damals durch die Straßen, um zu kontrollieren, und ruft: »Licht aus!« Polnische Zwangsarbeiter mit dem P im gelben Rhombus auf den Jacken malten Bordkanten mit Leuchtfarbe an. Im Dunkeln liefen wir durch eine Geisterstadt. Die wenigen Autos, die noch fuhren, hatten Kappen auf ihren Scheinwerfern, mit schmalen Schlitzen. Die Scheiben von Autobus und Straßenbahn waren ultraviolett bemalt. Die Leute darin sahen aus, als säßen sie in einem Aquarium. Fast alle trugen Leuchtplaketten an den Aufschlägen ihrer Mäntel, einfach runde oder quadratische oder aber leuchtende Möwen und sogar Mickymäuse, denn Amerika befand sich noch nicht im Krieg, und die Mickymaus war erlaubt. Wo keine Rollos hingen, waren unsere Innenfenster mit Verdunkelungspapier tapeziert, pechschwarz. Weil man im Winter diese Innenfenster kaum öffnen mochte, lebten wir jetzt auch am Tage im Halbdunkel, schmuggelnd, überlebend, fürs Vaterland diensttuend, Zentrifugen in einem Geheimversteck im Keller, während draußen das Federvieh die mühsam herbeigeschaffte Nahrung verschlang. Minnamartha verlor wieder einmal zwanzig Kilo und erschien uns äußerst aktiv, wie sie, von Großmutter gesteuert, in ungeheizten Dampfzügen über Land fuhr.
Großmutter freundete sich vorsichtshalber mit Kutschke an, der seine Neugier nur schwer zügeln konnte und bei
Weitere Kostenlose Bücher