Muckefuck
Tagen.
An anderen Sonntagen verkauften wir kleine Weißbücher über Polen, in denen die Tapferkeit unserer zivilisatorisch hochstehenden Soldaten und polnisches Untermenschentum anschaulich gegenübergestellt waren. So lebte also der Arbeiter in Krakau, mit Waschschüssel auf einem Drahtgestell und in der Ecke drei schmutzigen Kindern ineinem verlotterten Bett. Dagegen unsere Feldgrauen, wie sie Essen an die abgestumpfte Zivilbevölkerung ausgaben, humane Taten überall. Ich befragte Großmutter über den Wahrheitsgehalt dieser Darstellungen. »Dussel, verdammter!«, sagte sie.
Gegen Weihnachten verkauften wir erzgebirgisches Holzspielzeug, alles auch ganz klein, Schaukelpferdchen, nur einen Zentimeter hoch, Nikolause, Nussknacker. In Heimarbeit hergestellt von fleißigen deutschen Händen. Gallert lief jetzt als Oberkontrolleur in der Ortsgruppenstelle umher, mit nagelneuen Breeches, die an den Seiten abstanden wie Elefantenohren. Misstrauisch umkreiste er Tante Lizzi, die Rauchwölkchen aus ihrer Zigarettenspitze in seine Richtung stieß, aber Gallert traute sich nicht, über Tante Lizzi ein Rauchverbot zu verhängen: Die Frau eines frisch dekorierten Bomberpiloten hatte Privilegien.
Wenn wir unsere Sammelbüchsen abgaben, war Tante Lizzis Tisch über und über bedeckt mit schmutzigen Münzen, klein gefalzten, total verdreckten Markscheinen, zerfledderten größeren Scheinen. Tante Lizzi löste die Plomben von unseren Büchsen, stürzte den Inhalt vor sich auf die Tischplatte, und begann zu zählen. Die Pfennige, Sechser, Groschen und die Markstücke und Fünfziger bildeten Säulen, der Betrag wurde in Listen vermerkt, mit der Nummer der Büchse. Rekordsammler waren Othmar und ich nicht, das sahen wir an den Summen, die andere Winterhilfswerkklapperer mitbrachten. Aber wir liefen so durch, ohne Anstände.
»Zweiundsechzig Mark dreißig. Karl Kaiser, Stütze der Bewegung«, spottete Tante Lizzi. Zu Othmar sagte sie nichts, die beiden schwiegen sich gerne ein bisschen an.
Wirklich sah die deutsche Frau anders aus als Tante Lizzi. Wir sahen das auf den Gemäldereproduktionen derAusstellungen im Haus der Deutschen Kunst. Vor allen Dingen rauchte die deutsche Frau nicht, schon gar nicht aus langen Zigarettenspitzen, die an Zeiten erinnerten, als dem internationalen Judentum angehörende Schieber versucht hatten, sich zu bereichern, das Vaterland in den Schmutz zu ziehen, ihrer internationalen Mafia auszuliefern. Bis es dann von einem rein arischen Menschen gerettet wurde, einem Mann, bei dem die Ohrläppchen nicht angewachsen waren. Auch er rauchte nicht, und auch sonst tat er nichts Unedles, dachte man.
Preisfrage: Wie lange würde Tante Lizzi, umgeben von biederen Kopftuchschwestern und strammbeinigen Parteiamseln, ihre Rauchwolken ausstoßen dürfen?
»Noch ist Hermann Göring in Gnade«, sagte Ede.
»Wieso noch ?«, meinte Onkel Hubert. »Meinst du, das wird sich je ändern?«
»Denkst du, die Tommys haben keine Flieger? Warte mal ab, bis sie uns die ersten Bomben aufs Hirn pfeffern.«
Das hielten alle für unmöglich. Hatte Göring doch im Rundfunk erklärt, er wolle Meier heißen, wenn nur ein einziges Feindflugzeug Bomben auf deutschen Boden… Und Frankreich war noch zu besiegen.
Dieter Rohde wichste nun in der Geografiestunde, Zuschauen kostete fünfzig Pfennige.
Auf Abschnitt A der Fettkarte gab es eine Sonderzuteilung von zweihundertfünfzig Gramm Schweineschmalz.
Eine einzige sorgenvolle Unterhaltung zwischen Ede und Onkel Hubert belauschte ich, im herbstlichen, abgeernteten Maisfeld vor Onkel Huberts Laube versteckt.
»Machst du dir nicht manchmal Gedanken über Mathilde?«, fragte Ede Onkel Hubert, auf die BDM-Begeisterung seiner Nichte anspielend.
»Was heißt Sorgen«, meinte Onkel Hubert. »Beim BDM ist sie gut aufgehoben. Stell dir vor, sie würde auf der Straße herumlungern. Da hätte ihr schon längst irgendein Rüpel unter den Rock gelangt. Außerdem, dein Karl, der macht ja auch mit.«
»Was blieb uns übrig? Du weißt doch, die Sache mit der arischen Abstammung.«
»Siehst du. Und Mathilde hat keine Mutter mehr. Soll ich sie an die Leine legen? Dann schon besser BDM.« Das wars. Wir waren gut untergebracht.
So wie Dr. Erdemann seine Stethoskopritte auf den Körpern seiner Patienten absolvierte, wie Großmutter Entenklein einweckte, Minnamartha zwischen ihren Futterexpeditionen Fondants lutschte, so spielte Gustavchens Vater den Scherzbold der Nation. Als der alte Herr Fanselow
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