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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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im Keller eingelagert, die Kaninchen mögen sie gerne, aber an den staatlich verordneten Eintopfsonntagen taucht die Wruke auf unserem Tisch auf.
    »Fürchtet euch nicht«, sagt Großmutter, »ich koch ein bisschen Entenklein mit, dann schmeckt’s gut.«
    »Und wenn Kutschke kommt und in den Topf guckt?«
    »Kriegt er Kirschlikör.«
    Großmutter glaubte fest an die alles verschleiernde Macht des Kirschlikörs. Unser Leben begann, sich auf eine Art Überlebensprogramm zu reduzieren, das merkte sogar ich. Dabei waren wir doch erst im ersten Kriegsjahr, siegreich dazu.
    Am Sonntag ließ Ede wieder sein Pferdelazarett im Stich, viel verdarb er nicht damit, denn das einzige Pferd dort war auf einer riesigen Wandtafel abgebildet, teilweise aufgeschnitten, wie in den Biologiebüchern der Mensch. Das Pferd war wartungsfrei. So saßen wir alle um den Wrukentopf versammelt, der Dampf verschleierte unsere Gesichter, wir löffelten Eintopf. Allerdings war die Verfeinerung von Wruken mit Entenklein wirklich zu empfehlen: Es schmeckte erstaunlich gut, besser noch als jene Kälberzähne genannten Graupen, die es auf Edes Pferdestation viermal die Woche gab. Ich dachte an meine Fünf in Latein, von der noch niemand wusste, und an Mathildes Kniekehlen. Sicher trug sie jetzt lange Wollstrümpfe, denn es war kalt geworden, auch mit Heizmaterial musste gespart werden. In unserem Kohleküchenbeistellherd verbrannten wir Holzabfälle, die wir im Wäldchen sammelten, und die Küche war nun Zentrum unseres Lebens geworden. In die kalte Wohnstube ging fast niemand mehr. Meine Schulhefte hatten Fettflecken. Aber das merkte niemand. Außer unserem Biologielehrer mit dem SS-Bonbon am Revers (er war natürlich freigestellt) hatten wir nun bereits pensionierte Lehrkräfte, einen Englischlehrer mit Beinprothese aus dem Ersten Weltkrieg, der aber ein Buch The Britsh Commonwealth of Nations verfasst hatte, wir durften es auswendig lernen. Der Erdkundelehrer war fast blind, kleinere geografische Einheiten als die Gobi konnte er auf den Wandkarten nicht mehr orten, und wir trieben in seiner Stunde Unfug. Besonders schauten wir uns die Pornofotos an, die Dieter Rohde, letzte Bank, einschleuste, und wir bewunderten diesen Knaben, weil er angeblich elfmal hintereinander konnte. Othmar fand das scheußlich. »Mein roter Bruder wird mir recht geben«, sagte er, in den Jargon unserer Karl-May-Tage zurückfallend, »dass dieses Bleichgesicht ausgerottet gehört.« Ich war nicht so ganz der Meinung. Die Fotos interessierten mich, und während der alte Lehrer sich über den Hindukusch verbreitete, sah ich mir an, wie zwei Herren es mit einer einzigen Dame trieben, schwarz-weiß, denn Farbfotos gab es damals noch nicht. »Ist doch Klasse«, sagte ich zu Othmar. »Besser als die Rio Ritas von Onkel Didi.«
    »Du wirst gleich versenkt«, murmelte Othmar drohend. »Komm lieber mit, die Sammelbüchsen holen.«
    Lumpen, Knochen, Leder und Papier sammelten wir, nun auch Geld fürs Winterhilfswerk. In Winteruniform, mit Überfallhose und Skimütze, Schweinsleder-HJ-Halbschuhen auf Sonderbezugsschein, stand ich an der Straßenecke, die Rasselbüchse schwingend, ein kleines Rädchen der Bewegung. Tante Lizzi, immer noch mit Ponyfransen und langer Zigarettenspitze, arbeitete in einer Dienststelle der Partei, Ortsgruppe, und verteilte die Büchsen.
    »Hier, eine für dich, eine für Othmar«, sagte sie. »Voll wieder abgeben. Die Abzeichen gibt es dort drüben.«
    Tante Lizzis Mann war jetzt Bomberpilot. Er flog eine He 111 und hatte sich beim Angriff auf Warschau ausgezeichnet. Die He 111 hatte schon die Legion Condor in Spanien erprobt, ein bewährter Flugzeugtyp mit gläserner Bugkanzel und dadurch typischer, unverwechselbarer Silhouette.
    Wir verkauften winzige Flugzeuge aus silbrigem Kunststoff, wenn wir mit den Sammelbüchsen klappern gingen: perfekte kleine Nachbildungen der richtigen Maschinen, der He 111, Me 109, Arado und Fieseier Storch. Wir kannten uns aus. An den Flugzeugen waren Fäden befestigt, damit man sie sich ins Knopfloch flechten konnte. Irrtümlich herrschte auch die Meinung, dass man nicht weiterspenden müsse, wenn man erst so einen Plastikadler unterm Kinn trug. Aber darauf konnten wir keine Rücksicht nehmen, wir hielten allen die Büchse unter die Nasen, ob Volks- oder Parteigenosse, ob nach oder vor vollzogener Spende. So wollte es Kulle Rosenbusch. Für zwanzig Pfennige eine He 111! – Viele gaben mehr, Geld hatte man ja in jenen

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