Muckefuck
uns unbedingt Kellerbesichtigungen vornehmen musste. Das hatten wir nicht gerne, aber Großmutter wusste einen Trick. »Kommense man, kommense«, winkte sie dem Gewaltigen, aber nie sah Kutschke, was er vielleicht vermutete und gerne entdecken wollte: Unser Geheimversteck für Schmuggelware. In den Nebenkeller führte ihn Großmutter, wo es im Halbdunkeln gluckste und gluckerte, denn hier standen in einer Reihe sechs oder sieben große Tonkruken, in denen Sauerkirschensaft vergor, mit Weinstein angesetzt. Bei Erreichung eines gewissen Reifegrades gewann Großmutter daraus einen Grundstoff, den siedurch Zusatz reinen Alkohols zu einem teuflischen Kirschlikör verwandelte. Auf Flaschen gezogen, diente auch dieser Kirschlikör als Tauschartikel, zur Bestechung, zur Beruhigung und Benebelung der Verwandtschaft, und – als Waffe gegen Kutschke, Block- und Luftschutzwart.
»Ich muss sowieso probieren, wie weit der Saft gegoren ist«, gab Großmutter vor, beugte sich über die Kruken, die weiterglucksten, leuchtete auch wohl mit einem Streichholz hinein oder bat Kutschke, das mit der Taschenlampe zu tun. Aus der Schürzentasche zog sie zwei Gläschen, meinte: »Wollen wir?«
Kutschke wollte. Der fertige Likör aus der stets bereitstehenden Flasche hatte seine milden fünfunddreißig Prozent, aber es musste ja nicht bei einem Gläschen bleiben. »Auf den Führer!«, sagte Kutschke. Zack, mit einem Schluck war das Gläschen leer. Großmutter hielt mehr vom genussreichen Süffeln, und so kam es, dass Kutschke. bald auf Göring, Himmler, die Partei und alle Volksgenossen trank, und zum Schluss auf Großmutter, die nur leicht umnebelt im Keller stand, Gläschen einfüllte und schadenfroh zusah, wie Kutschke alle Schnüffelvorsätze vergaß und sich einen andudelte.
»Gut, was?«, fragte Großmutter. »Wollen Sie nicht ein Fläschchen mitnehmen? Ist gut gegen Grippe.« Aber Kutschke wollte nicht, das empfand er als Bestechung. »Lieber noch einen hier«, meinte er, und setzte sich vorsichtshalber auf die grünen Blumenkästchen, die den Winter über im Kellergang abgestellt waren.
Also noch ein Gläschen auf den Reichsluftschutzbund. Dann war Kutschke vollfett wie eine Friedensleberwurst. Großmutter stieß und wuchtete den Würdenträger die Treppe hinauf, entließ ihn ins Freie, und wir sahen Kutschkes Taschenlampenkegel durch die Finsternis schwanken.Manchmal, wenn Kutschke stolperte, verschwand der Lichtkegel. In der Haustür stehend, Licht aus, hörten wir ihn fluchen und sich wieder aufrappeln.
Auch Großmutter war nach solchen Spionageabwehrtaten heiter bis beschwingt und benutzte die Stimmung, um schnell ein paar schlafende Enten aus dem Stall zu holen und zu köpfen. Am nächsten Tag durchzog Bratenduft das Haus und wir empfingen keine Besucher, solange unsere Mastvögel in der schweren Eisenpfanne schmurgelten.
Übers Feld zischen im Tiefflug zwei Me 109. Auf der weiten mit Raureif bedeckten Fläche stehe ich, ein dunkler Punkt. Auf dem Weg entlang der Lehrter Bahn kommt eine Gestalt auf mich zu. Es dauert eine ganze Weile, bis ich erkennen kann, wer es ist: Herr Gallert. Er sollte eigentlich auch nach Polen marschiert sein, aber die Partei hat ihn freigestellt. Gallert ist wieder ganz in Braun. Aber mein Gruß ist lässig, Gallert bedeutet mir nicht mehr so viel wie damals, als ich an seinem Fahnenmast vorbeiklotzte. Partei, SA und Uniformen haben von ihrem Glanz verloren, seit die Städte dunkel und die Lebensmittel knapp sind. Die Farbe fehlt in unserem Leben, ist für eine Weile ausgeknipst wie die bunten Sarottimohren im Zentrum. Gallert erwidert meinen Gruß, so zackig, dass er fast auf dem raureifbedeckten Gras ausrutscht. »Morgen ist Eintopfsonntag«, sagt er, »dran denken, Pimpf!«
Der Pimpf steht immer noch auf dem Feld, Gallert ist längst verschwunden. Mein Atem friert in der Luft. »Kohlrüben«, denke ich. »Morgen gibt’s Kohlrüben.«
»Was hat er gesagt?«, will Minnamartha wissen. »An den Eintopfsonntag hat er dich erinnert? Gallert?«
Ich nickte.
»Nicht so schlimm«, meint Großmutter. »Wir haben noch Kohlrüben im Keller.«
Habe ich es nicht geahnt? Die Kohlrübe, bei uns eigentlich Wruke genannt, von anderen Leuten Boden-, Erdoder Unterkohlrabi oder Dorsch, fressen wir nun wahrscheinlich den ganzen Winter hindurch. Wir ziehen sie im Garten, früher wuchsen da ihre eleganteren Verwandten, die Teltower Rübchen. Anfang November haben wir die dicken Wruken aus dem Boden geklaubt und
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