Muckefuck
wurde er bei uns geführt, Gustavchen war ein Nachkömmling, seine Schwester acht Jahre älter, und Vater Fanselow recht betagt und daher nicht erwünscht für den aktiven Kriegsdienst. Der alte Fanselow hatte eine Glatze, wie Gustavchen im Sommer, aber beim Vater war sie echt, nicht rasiert.
Die Platte glänzte.
Fanselows, Besitzer eines Haustyps B, mogelten sich auf ihre Art durchs Leben. Nach Großmutter galt die pferdegesichtige Frau Fanselow, wesentlich jünger als ihr Mann, als eifrigste Marschiererin. Sie war eigentlich dauernd zum Bahnhof oder vom Bahnhof unterwegs, behängt mit verschiedensten Taschen, in denen sie Tauschware aus der Stadt hinaus – und Lebensmittel einführte, mit gebleckten Zähnen, ausschreitend, unwiderstehlich, von den Bauern gefürchtet wie ein scharfer Hund. Auch Verbindungen zum fernen Pommern bestanden. Von dort her führte Vater Fanselow per Paketpost Schinken und pralle Würste ein.
Den zähnebleckenden Wahn ihrer Mutter hatte Gustavchens Schwester geerbt, Agathe, die mit zwölf schon zu Brennschere und Lockenwickler gegriffen hatte. Sie war, obwohl inzwischen ein Backfisch, plättbrettplatt, und vergebens suchten wir, von Gustavchen herbeigelockt, durchs Schlüsselloch Rundungen zu erspähen. Wenn wir unsere Enttäuschung äußerten, sagte Gustavchen empört:
»Wartet doch noch! Manchmal schmiert sie sich das Arschloch mit Mousoncreme ein.« Das brachte uns auf die Idee, eines Tages Gustavchen die Hosen herunterzuziehen und seinen Hintern zu salben.
Die Fanselows waren Zauberer. Ein Genie war Vater Fanselow. Gustavchen begann, in Vaters Fußstapfen zu treten. Fanselows zauberten nicht mit den üblichen Mitteln, wie Seilen mit und ohne Knoten, Zylindern mit doppeltem Boden oder weißen Kaninchen. Nein, bei Fanselows spritzte stinkender Saft aus einer harmlos aussehenden Wachsrose, künstliche Exkremente garnierten Möbel und Teppiche, ahnungslose Besucher setzten sich auf unterm Kissen verborgene Luftblasen, die knatternde Furzgeräusche erzeugten.
Wie lachten da alle Fanselows, wenn ihnen solche Überraschung gelungen war! Ede explodierte einmal die listig vertauschte Zigarre, er war schwarz im Gesicht wie eine Karikatur aus der Mottenpost, und er ging nie wieder zu Fanselows. Die bedauerten das sehr, denn sie wollten ihm eine Quietschblase in den Schuh bauen, wozu es nun nicht mehr kam. Die Fanselows lachten und lachten, Vater meckernd, Mutter und Agathe mit gebleckten Pferdezähnen, dass die Lockenwickler wackelten, Gustavchen in hohen Quietschtönen.
Gustavchens Genie ging damals als neuer Stern am Himmel von Fanselows Lachkabinett auf, übertraf zuweilen seinen wiehernden, Bocksprünge vollziehenden Vater. Gustavchen entwickelte einen tieferen Sinn für alles, was klebrig, unappetitlich, anstößig war, geeignet, andere in Verlegenheit zu bringen. Der gelbe große widerwärtige Mostrichfleck auf Mathildes BDM-Rock war Gustavchens Werk, eine reife Leistung, weil Gustavchen kaum Gelegenheit hatte, Mathilde anzutreffen. Auch die Blindschleiche ging auf Gustavchens Rechnung, die meine Mutter eines Tages im Milchtopf fand.
Beschwerden halfen nichts. Vater Fanselow förderte Gustavchens Genie und schützte ihn. Freute sich, wenn Gustavchen Käserinde in die Polster fremder Autos oder hinter Bücherrücken gleiten ließ, Ofenrohre mit alten Filzhüten verstopfte und in den ersten Frosttagen künstliches Glatteis auf dem Gehweg herstellte. Da lauerten alle Fanselows hinter der Gardine und wieherten, wenn die Passanten ausglitten, mit grotesken Verrenkungen den Sturz zu vermeiden suchten und schließlich doch auf Hintern oder Nase landeten.
Trotz der vielen Tausend Opfer, die der erste Blitzkrieg kostete, änderte sich für niemand etwas. Die Lebensläufe aller Deutschen schienen vorgestanzt, in Hollerith-Lochkarten geprägt. Fiel einer, bekamen seine Angehörigen eine Rente, beschäftigten sich weiter damit, ihre Lebensmittelzuteilungen zu verbessern und neue Methoden zur Ersparung von Heizmaterial auszutüfteln. Stolze Trauer war erlaubt.
Onkel Adolar kam ein letztes Mal nach Hause, Heimaturlaub, wechselte verbotenerweise sein Feldgrau gegen das beliebte Zivil mit gepunkteter Fliege, und besuchte uns, weswegen es Entenbraten gab.
Der einstige Bonvivant war nur äußerlich noch einer. Er schwieg, auf unsere Fragen nach dem Polenfeldzug bekamen wir ausweichende Antworten, der neue Entenpfuhl interessierte ihn kein bisschen. Onkel Adolar hatte auf null geschaltet. Tante
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