Muckefuck
Linchen, die Arme leicht erhoben, als wolle sie an einer Kundenfrisur etwas richten, umflatterte ihn, stellte tausend banale Fragen, den Zustand der Bratente betreffend, bekam kaum Antwort, auch sie nicht. Sie blieben über Nacht, und auch Gustavchen konnte den Onkel nicht erheitern, als er ihm, gegen den Preis eines Glasbuckers, Fanselows künstlichen Hundedreck ins Bett legte. Onkel Adolar warf das Pappmachéexkrement wütend an die Wand, wo es zerplatzte und einen braunen Fleck hinterließ.
Es war die letzte Spur von Onkel Adolar. Denn nun begab er sich an die Westfront, wo er ein paar Wochen in verschiedenen Bunkern des Westwalls in Bereitschaft lag. Dann kam der Sommer, und die Ketten unserer Panzer mahlten über Frankreichs Straßen. Fröhlich sangen nun die Panzermänner ihr Lied: Es braust unser Panzer… im Sturmwind dahin! Wir kannten dieses Lied von Kulle Rosenbusch, und wir wussten, auch Kulle Rosenbusch saß in einem dieser Panzer, Kopfhörer über die schwarze Mütze gestülpt, und brachte dem Franzmann das Rennen bei. Dem Franzmann und den Engländern!
Kulle Rosenbusch! Ein letztes Mal hatte er uns noch versammelt, sechzehn Uhr Birkenwäldchen, und sich verabschiedet. Uns geht die Sonne nicht unter … hatten wir gesungen, während Kulle, schon in Panzeruniform, die Klampfe schlug.
In den Wochenschauen sahen wir mit dem weißen Staub der Champagne überzogene Kübelwagen an den Kriegsberichterstattern vorbeifahren, nach Westen, nach Westen!Braun gebrannt, die Ärmel aufgerollt, marschierten die Infanteristen auf Paris zu. Die Maginotlinie war ausgeräumt, leer standen ihre Bunker, die Rohre gesprengter Geschütze ragten in die Luft, oder gen Himmel , wie wir in einem Bericht der Morgenpost lasen. Gen Himmel waren auch die Besatzungen der Geschütztürme gefahren, ein paar geballte Ladungen in die Luken der Bunker wirkten da erstaunlich, wie dieser und jener Urlauber fröhlich erzählte. Wieder siegten wir, wieder tönten die Fanfaren der Sondermeldungen aus den Volksempfängern. Ede unkte weiter, verwundeter Pferde vergeblich harrend, und meinte: Es hat sich schon mancher totgesiegt.« – »Wenn bloß der Lümmel nicht noch rankommt«, seufzte Minnamartha. »Ach, was«, sagte ich, »Bis dahin ist der Krieg schon gewonnen.«
Eigentlich schien es mir aber interessanter, Bunker zu knacken als hier in der Heimat Brennnesseln zu rupfen, und ich ging in den Stall und trank für alle Fälle ein Ei aus, wie ich es bei Onkel Adolar gesehen hatte.
Doch wuchs ich nicht schneller vom Leghorntrinkei, auch die Frankreichvorstellung ging rasch über die Bühne. Die erste Fliegerbombe fiel auf Berlin, die kecke Bevölkerung erinnerte sich sofort, dass Göring nun Meier hieß, und wallfahrtete in die Innenstadt, die Schadenstelle zu besichtigen. Glaser rissen sich darum, zersprungene Fensterscheiben in der Umgebung der Abwurfstelle zu Sonderpreisen zu ersetzen.
Das sollte sich ändern.
Onkel Adolar schrieb nichtssagende Briefe an Tante Linchen, Briefe eines unbeteiligten Zuschauers am Frankreichfeldzug, scheinbar ging ihn die ganze Sache nichts an. Nun bei einer Etappeneinheit tätig, so erfuhren wir, zog er nach den aktiven Fronttruppen in Paris ein, nicht über die Champs Elysées, sondern von Osten her an Vincennesvorbei, durch die endlose Banlieu, bis sie eine Kaserne im Norden der Stadt erreichten. Eine französische Kaserne, anspruchsloser noch als die preußischen Feldgrauensilos, aber es war Sommer, und ab und zu bekamen die Soldaten Ausgang, fuhren nach Paris hinein. Eine leere Stadt, man sah überall Soldaten, aber wenig Zivilisten. Die Franzosen, soweit noch in Paris vorhanden, hielten sich lieber in den Häusern.
Beim zweiten Ausgang ging Onkel Adolar mit Kameraden den Boulevard St. Michel entlang. Vor einem Café standen Korbstühle in der Sonne. Sie setzten sich, bestellten einen Pastis. Onkel Adolar wechselte, als gerade die Gläser mit dem Getränk kamen, den Platz, weil ihn die Sonne blendete. Er setzte sich in einen anderen Korbstuhl, fuhr aber gleich wieder hoch, laut »Au« rufend, und um ein Haar hätte der Kellner das Tablett hingeworfen. Onkel Adolar schaute hinten an sich herunter und dann genauer auf den Korbstuhl: Ein langer rostiger Nagel lauerte da, und er hatte Onkel Adolar in den Hintern gestochen.
»Kommt schon Blut?«, fragte einer aus der Runde. Alle lachten, holten einen anderen Stuhl heran. Es schien nicht zu bluten. Onkel Adolar inspizierte Stuhl Nummer drei, ließ den
Weitere Kostenlose Bücher