Muckefuck
anderen Stuhl, den mit dem rostigen Nagel, vom Kellner entfernen, und man trank weiter.
Gelegentlich, während des Nachmittags, kamen sie an einer deutschen Sanitätsstelle vorbei, und ein Sanitäter verpflasterte die Stelle, ein roter Einstich, kaum sichtbar, Blutverlust gleich null.
Am Mittag des nächsten Tages hatte Onkel Adolar vierzig Fieber, bekam eine Spritze auf dem Krankenrevier der Kaserne, erschien nicht zum Verpflegung fassen. Abends lag er in der Revierstube, das Fieber stieg. Um die Einstichstelle hatte sich ein roter Hof gebildet, an den Handgelenken in der Nähe der Pulsadern zeigten sich bläulich-rötliche Verfärbungen. Diagnose: Blutvergiftung.
Am nächsten Morgen brauste ein Sanka mit Onkel Adolar in Richtung Osten, in ein Lazarett in Vincennes. Hier ergriff man schleunigst alle notwendigen Maßnahmen, das Fieber ging bald zurück, bis achtunddreißig fünf, aber niedriger nicht. Auch nach drei Wochen war es immer noch achtunddreißig fünf, und die Wunde hatte sich vergrößert und eiterte.
Die Ärzte beschlossen, Onkel Adolar zu verlegen. Für seine Einheit zuständig war das Reservelazarett in Sagan, Niederschlesien. Quer durch Frankreich und Deutschland fuhr der fast leere Lazarettzug, in dem bejahrte Sanitäter und blonde Karbolmäuschen Dienst taten und sich um Onkel Adolar kümmerten. Durch unsere große Stadt rollte der Zug zu nächtlicher Stunde, ohne dass wir etwas davon wussten, nach Onkel Adolars Briefen zu urteilen war Harmloses, eher Lächerliches geschehen, eine rechte Kriegsverwundung war das ja nicht.
Von Sagan aus, wo Onkel Adolar in das frühere Schloss Wallensteins eingeliefert wurde, das nun als Lazarett diente, bekam Tante Linchen die Aufforderung, ihren Mann zu besuchen.
Sie blieb gleich da. Denn sie fand ein Skelett vor, das nur noch entfernte Ähnlichkeit mit dem Onkel Adolar von einst aufwies, in ein vorn mit Schleifchen zu bindendes gestreiftes Lazaretthemd gehüllt, ohne Lust am Leben.
Das Fieber blieb weiter. Tante Linchen besuchte Onkel Adolar täglich, konferierte mit den Ärzten. Sie wussten keinen Rat. Ein rostiger Nagel wirkte selten tödlich. Was war mit diesem Patienten los? Senkungen und Blutbilder zeigten Übliches, kein Hinweis auf irgendeine ernsthafte Komplikation.
Nach drei Wochen jedoch bekam Onkel Adolar eine Lungenentzündung. Innerhalb von achtundvierzig Stunden war er tot.
Tante Linchen weinte, ließ sich zum Heldentod ihres Mannes kondolieren, versuchte lange, einen Sarg in passender Größe aufzutreiben, denn Onkel Adolar maß auch im Tode noch fast zwei Meter. Ein Tischler aus Sagan lieferte endlich eine Sonderanfertigung. Die Leiche wurde in die Heimatstadt überführt, ein Heldengrab auf unserem Friedhof war Onkel Adolar sicher.
Tante Linchen saß bei uns und weinte. »Ausgerechnet Adolar«, schnupfte sie, »warum gerade er? Alles hat er überstanden. Den Polenfeldzug. Und Frankreich. Und dann muss er sich auf einen Nagel setzen. Ich verstehe das nicht! Ich verstehe das nicht!«
Minnamartha kämpfte mit einem Fondant, das ihr in den Zähnen klebte, und sagte:
»Es ist Bestimmung. Jeder kommt einmal dran.« Großmutter rückte die Kaffeekanne auf dem Herd hin und her, was der dreibeinigen schwarzen Katze wenig gefiel. »Wer weiß, wozu es gut ist«, sagte sie.
Allmählich versammelten sich alle in unserer Küche. Ede und Onkel Hubert standen schweigend herum, Mathilde, fesches BDM-Mädchen, umarmte Tante Linchen, und dunkler Kopf an blondem Kopf schluchzten beide. »Nu lass man«, sagte Onkel Hubert.
»Was ziehe ich bloß zur Beerdigung an? Wann ist sie denn?«, fragte Minnamartha.
Linchen löste sich aus der tränenfeuchten Umarmung Mathildes. »Donnerstag«, sagte sie. »Um vier Uhr.«
Alle interessierten sich für die Kleiderfrage. Minnamartha eilte nach oben und kam mit mottenpulverduftendenschwarzen Kleidern wieder. Nach Anprobe zeigte sich: Sie würden es tun. Großmutter ging immer in Schwarz, sie hatte keine Probleme. Die Witwe hatte auf Sonderbezugsschein Trauerkleidung bekommen. Viele gingen in Uniform, wie es nun üblich war.
An einem heißen Augusttag trugen wir Onkel Adolar zu Grabe. Dem Sarg folgte eine Schar von Verwandten und Bekannten. Ein Oberleutnant mit gezücktem Degen schritt, flankiert von zwei Grenadieren mit Stahlhelm, hinter dem Sarg. Dann kam die Witwe, gestützt von Onkel Hubert und Ede, die ein stramm militärisches Gesicht machten, wie auf dem Husarentag. Sechs andere Grenadiere trugen den Sarg, der
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