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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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mit der Reichskriegsflagge bedeckt war. Unbarmherzig brannte die Nachmittagssonne auf die hellgelben Sandhügel links und rechts von der Grube. Der Sarg wurde hinabgelassen. Es war ganz still. Plötzlich traten aus den Hecken hinter Onkel Adolars Grab sechs Grenadiere heraus, legten ihre Karabiner an und feuerten drei Salven. »So was Dummes«, schimpfte Großmutter leise. »Ich gehe. Alle sollen zu uns kommen.«
    Zwischen den Gräbern schritt Großmutter davon, auf dem langen, sonnenbeschienenen Weg kleiner und kleiner werdend, während sich die übrige Trauergesellschaft um Tante Linchen ballte, die, in einen unendlich großen schwarzen Schleier gehüllt, auf der Spitze des einen Sandhügels stand und Kondolationen entgegennahm. Mathilde und ich warteten abgedrängt am Rande der Grube, wo unten der Sarg mit der Flagge zu sehen war, und unmittelbar vor meinem Auge pulste an Mathildes Hals ein Aderchen. Ihre sehr schöne Nase war mit Schweißperlen bedeckt.
    Endlich löste sich der Menschenklumpen am Grab auf und alle begannen, in Richtung des Ausgangs zu gehen.Mathilde und ich stolperten hinterher, sie in weißer Bluse, ich im Braunhemd. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich einen der Grenadiere in die Grube springen und die Reichskriegsflagge bergen. Sie wurde noch gebraucht. Für weitere Heldentode.
    Großmutter hatte vorgesorgt. Wie einst saßen wir im Garten, nur war die Gesellschaft weniger bunt und das Bier dünner. Ein paar Stallhasen hatten ihr Leben lassen müssen für den Leichenschmaus. Nie mehr würde Onkel Adolar eiertrinkend aus dem Stall treten, nie wieder würde seine gepunktete Fliege leuchten, wenn sie abends unter dem Pflaumenbaum saßen, und, um die Mücken zu vertreiben, an ihren Zigarren sogen.
    Tante Linchen hatte sich aus dem Schleier gewickelt, schaute bleich, aber gefasst, über den Tisch und griff herzhaft zu.
    »Ja, ja, unser Adolar«, seufzte Großmutter. »Die Laube hat er mitjebaut. Dabei hat er sich auf keinen rostigen Nagel gesetzt. Ich möchte wissen, wieso er in Kaffeehäuser jehen muss.«
    »Mutter«, sagte Minnamartha warnend, während sie eine Kaninchenkeule benagte. Aber Großmutter war nicht zu bremsen. »Er war ein schwächliches Kind«, sagte sie. »Schon damals in Dubberow. Aber sein Bruder starb an Typhus. Er nicht. Er war der Jrößte. In der Schule dann. Immer der Jrößte.«
    »Wer soll nun auf dem Klavier spielen?«, heulte Tante Linchen plötzlich. Alle beruhigten sie, oder versuchten es wenigstens. »Lass doch das Klavier«, sagte Ede. »Man kann es verkaufen.« – »Ich trag’s runter«, rief Onkel Hubert und zeigte seine Bierfahrerhände.
    »Verkaufen! Runtertragen!« Tante Linchen war außersich. »Wie kann ich mich davon trennen? Das Klavier, auf dem Adolar gespielt hat?«
    »Was hat er denn gespielt?«, erkundigte sich Mathilde. Pampig sagte Tante Linchen: »Den Flohwalzer!«
    »Adolar war immer musikalisch«, fuhr Großmutter fort. »Damals in Dubberow haben sie ihn sogar im Kirchenchor singen lassen. Zweimal die Woche haben sie geübt. Es war vier Kilometer zu Fuß. Fast eine Stunde. Ich verstehe nicht, wieso er in Kaffeehäuser gehen musste.«
    »Mutter, nun lass das aber«, rügte Minnamartha. »Er ging nicht in Kaffeehäuser. Nicht gewöhnlich, jedenfalls. Sie hatten Ausgang. Urlaub. Es ist schließlich Krieg.«
    Großmutter fuhr mit der Gabel ärgerlich in der Soße herum. »Gehe ich vielleicht in Kaffeehäuser?«
    Ede schüttelte den Kopf. Tante Linchen schluchzte, die Tränen fielen ihr auf den Teller. »Das schöne Klavier …« murmelte sie.
    Onkel Hubert erzählte von Arras, neunzehnhundertvierzehn, da hatte auf der Straße vor einem zerschossenen Haus ein Klavier gestanden und ein Kamerad hatte sich an das Klavier gesetzt und den damals so berühmten Schlager Puppchen, du bist mein Augenstern gespielt. »Man muss sich das mal vorstellen«, rief Onkel Hubert, »ein Klavier mitten auf der Straße, während die französische Artillerie über unsere Köpfe schoss. Ganz dicke Koffer. Und da spielt der Puppchen, du bist mein Augenstern. Nee, das kann ich nicht vergessen!«
    Tante Linchen hörte nicht mehr hin, es fiel auch keinem mehr eine Klaviergeschichte ein, glücklicherweise, das heißt, ich hätte schon eine gewusst, aber ich traute mich nicht, sie zu erzählen: Wie unser Musiklehrer zu Klavierbegleitung die schöne Löwenballade gesungen hatte: Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir… Er beendetdie Ballade stets, indem er lässig in

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