Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
die Westentasche griff und eine altmodische silberne Zwiebel herauszog. Diesmal wollte er ziehen, aber die Uhr war verschwunden. Er hatte sie irgendwo liegen gelassen, oder jemand hatte sie ihm geklaut. Jedenfalls lachten wir alle über sein verdutztes Gesicht, und er sang die Ballade nie mehr. Da waren wir froh.
    Sollte ich die Geschichte Mathilde erzählen? Aber das Fest ging weiter, Mathilde und ich hatten artig dazusitzen, zu lauschen und Kriegslimonade zu schlürfen. Großmutter kam mit dem Kirschschnaps. »Ein Gläschen kann nicht schaden …«, meinte sie. Als habe er das Stichwort gehört, stellte sich Kutschke ein, der Block- und Luftschutzwart, kondolierte der Witwe und verbreitete betretenes Schweigen. Nur kurz allerdings, Großmutter schenkte wacker ein, und auch Kutschke hatte seine Geschichte: Zu Übungszwecken wurden dem Luftschutz original britische Brandbomben zur Verfügung gestellt, Stabbrandbomben. Mit der Feuerspritze hatte Kutschke erst gestern so eine Beutebombe löschen dürfen. »Es geht sehr gut«, sagte er. »Einfach draufhalten, es zischt, und aus ist das Feuer.«
    »Wir rufen Sie, wenn es so weit ist. Prost«, sagte Ede.
    Onkel Hubert klatschte Mathilde, die neben seinem Stuhl stand und am Likör nippte, auf den Hintern. »Wirst du das wohl lassen«, rief er.
    Aber Mathildchen nippte weiter, ein paar Löckchen baumelten ihr in die Stirn. Ich zog sie vom Tisch weg. »Willst du meine Zigarettenbilder sehen? oben«, sagte ich.
    »Pööööh«, machte Mathilde. Aber sie folgte mir doch ins Haus. In der Tür zu meinem Zimmer blieb sie stehen. »Komm mal her«, flüsterte sie. Ich ging zu ihr. Sie schlang ihre Arme um mich und küsste mich. Ganz lange. Ihr Gesicht war heiß, aber ihre Lippen waren ganz kühl und schmeckten nach Kirschen. Dann rannte sie die Treppehinunter. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Mund. Unten, im Garten, saß Mathilde wieder brav am Tisch, aber sie hatte ein volles Glas vor sich. Sie sah mich nicht an. Großmutter sagte: »Einmal, der Adolar war erst fünf, da hatte er einen Bandwurm …«
    Tante Linchen schluchzte.
    In den letzten Schultagen vor den Ferien war Rabumm zu uns gestoßen. Rabumm hieß eigentlich Werner Pethmann, war einen Kopf größer als ich und zu Streichen stets aufgelegt. Er kam aus Brandenburg an der Havel, wo er sich so gelangweilt hatte, dass er das in seiner Schule zu Lehrzwecken aufgestellte Aquarium wegen einer Wette ausgesoffen hatte. Die Fische, darunter wertvolle Schleierschwänze und Black Mollies, waren verendet, der Schüler Pethmann von der Schule verwiesen worden. Seine Mutter (der Vater war im Krieg) zog nach Berlin, um ihrem Einzigen eine gute Erziehung angedeihen zu lassen: »In der Großstadt sind, glaube ich, die Lehrer strenger«, hatte sie gesagt.
    Mutter und Sohn wohnten zur Miete in einem der Siedlungshäuser, es gab nun schon ein paar Kriegerwitwen, und die vermieteten Zimmer. Der starke Knabe soff nicht nur Aquarien aus, sondern beendete viele seiner Sätze mit einem bekräftigenden »Rabumm!« Daher Werner Pethmanns Spitzname. In der Schule setzte er sich einfach neben mich in die Bank, weil wir uns auf dem Schulweg angefreundet hatten. Eigentlich saß da Othmar, der blonde, schöne. Er kam drei Minuten später, reklamierte seinen Platz, aber Rabumm sagte einfach: »Scher dich zum Teufel, Häuptling Blondlocke. Sonst skalpiere ich dich. Rabumm!«
    Othmar nahm weiter hinten Platz. Am Nachmittag, als ich Rabumm unsere Kriegspfade auf dem Feld zeigte,schlich Othmar uns nach und warf einen Stein. Rabumm setzte sich in Bewegung wie ein Nashorn, holte den fliehenden Othmar ein und erwischte ihn mit einer geraden Linken, die alle Probleme zwischen den beiden für die Zukunft löste.
    Ich war glücklich. Othmars Tyrannei hatte ein Ende. Ich schloss mich Rabumm an.
    Bald waren dann große Ferien. Ich streifte mit Rabumm durch die Prärie, und sogar die Laubenkinder hielten sich zurück. Einmal sahen wir Ingrid, die nun größer und reizvoller geworden war, immer noch mit viel Weiß im Auge, und Werner Pethmann alias Rabumm sagte andächtig: »Die müsste man verkasematuckeln!«
    Was war nun das wieder? Ich wagte nicht zu fragen, bewunderte aber Rabumm ob seines Vorsatzes. Verkasematuckeln!
    Die Ferien dauerten noch vier Wochen. Allmählich erwarben Werner Pethmann und ich uns einen gewissen Ruf. Hasen sprangen aus den Ställen und wurden in unserem Wohnzimmer gesichtet. Minnamarthas Teppichklopfer, listig präpariert, zersprang

Weitere Kostenlose Bücher