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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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in lauter einzelne Stücke, als sie mir schließlich doch einmal einen Hieb auf den Rücken verpasste (Bohnerwachs in der Fluchtkurve war schuld). Großmutters Leghorns hatten eines Morgens blaue Flügel. Mit Recht vermutete man Rabumms Einfallsreichtum und meine Assistenz bei der Durchführung hinter diesen Vorfällen. (Rohrstöcke und Ausklopferstiele springen, wenn man sie spaltet und mit Zwiebel einreibt. Hühnerflügel färbt man am besten mit in Wasser gelöstem Waschblau, das man flink mit einem Lappen aufträgt.) »Das hält kein Schwein aus«, sagte meine Mutter. »Ede, lass dir bloß was einfallen!«
    »Warum schicken wir sie nicht aufs Land? Zu Onkel Willi?«
    Minnamartha zog energisch ihre Eieruhr auf, als wolle sie eine messbare Restzeit für unsere Untaten einstellen. »Onkel Willi? Der wird sich schön bedanken! Willst du, dass seine Scheune abbrennt? Welcher Teufel hat uns nur diesen Babumm geschickt!«
    »Rabumm«, verbesserte Ede. »Ich glaube, bei Onkel Willi ginge es. Die großen Jungs sind daheim. Auf Ernteurlaub. Die werden schon mit den beiden fertig. Schreib mal ’ne Postkarte. Ist doch dein Onkel.«
    Alles klappte. Onkel Willi schrieb zurück »in Gottes Namen«, was sich von einem Ortsbauernführer merkwürdig ausnahm. Auch Rabumms Mutter war glücklich. Ede machte unserem neuen Zugführer, einer ziemlichen Flasche, klar, dass wir Onkel Willis Ernte mit einbringen mussten.
    So reisten wir im Auftrag der Partei.
    Minnamartha brachte uns zum Zug, sie hatte den Wecker so eingestellt, dass er zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges nach P. klingeln musste. »Dann weiß ich, wir haben noch zehn Minuten.«
    »Wozu?«, fragte ich.
    »Na, damit man weiß, dass man noch zehn Minuten Zeit hat!«
    Minnamartha stöhnte in der Hitze und putzte sich in der S-Bahn die Stirn mit einem spitzengesäumten Taschentuch. Werner und ich saßen mit ihr, in Uniform, im Abteil für Reisende mit Traglasten zwischen vielen Gepäckstücken, denn eine neue Lieferung Zentrifugen war eingetroffen, die wir jetzt zu Onkel Willi transportierten. Am Eilzug nach P. standen wir dann, das Gepäck verstaut im überfüllten Abteil, die Eieruhr klingelte. »Ich will man wieder zurück«, meinte Minnamartha, »falls es Alarm gibt.« Während ich auf dem Trittbrett stand, fuhr sie mit ihrerHand in mein Hosenbein: »Hast du auch warme Unterhosen angezogen, Menschlein?«, rief sie.
    Im August! Warme Unterhosen! Ich schämte mich. Der Zug fuhr ab, Minnamartha war noch hinten auf dem Bahnsteig zu sehen, sie winkte mit dem kleinen weißen Taschentuch. »Rabumm!«, sagte Werner. »Hast du auch eine lange Unterhose? Falls es noch kälter wird!« – »Halt doch mal die Klappe«, sagte ich.
    Unsere Mitreisenden grüßten wir zackig mit Heil Hitler! Was teils freundlich, teils gar nicht aufgenommen wurde. »Gib mal ’ne Klappstulle«, sagte Werner.
    Wir waren noch in den nördlichen Vororten, der Zug dampfte zwischen Laubenkolonien hindurch, die hier Gartenlust oder Feierabend hießen, wie wir an den Transparenten über den Haupttoren sahen. – Es waren Prachtstullen, weil Großmutter sie geschmiert hatte, dick mit Schmalz bestrichen und mit Schlackwurst belegt. Wir schlangen alles schnell hinunter, weil die anderen Leute im Abteil uns ein bisschen neidisch anschauten. Die meisten hatten nur Karo einfach , ein paar Schnitten trockenes Brot, und einen Apfel.
    Zweimal hielten wir ein paar Minuten auf größeren Bahnhöfen. Ein paar Leute stiegen aus, die hofften, schon hier Erfolg bei ihren Hamsterunternehmungen zu haben. Die meisten reisten weiter, wie wir. Gegen Brandgefahr durch Funkenflug waren auf freier Strecke Gräben durchs Gras und Gehölz gepflügt. Der hellgelbe Sand schaute in den Furchen hervor. Wir lehnten aus dem Fenster, verdauten Großmutters Schlackwurststullen, und waren froh, der Stadt entronnen zu sein.
    In P. luden wir Koffer und Zentrifugenkartons aus. Onkel Willi erwartete uns vor dem Bahnhof mit einem Einspänner. Er saß auf dem Kutschbock und rauchte. Wir, inUniform, knallten unsere Hacken zusammen und riefen: »Heil Hitler, Ortsbauernführer!« Onkel Willi wedelte mit der rechten Hand in der Luft herum und murmelte: »Heil, heil!« Er sah Rabumm an: »Du bist der Werner?«
    »Jawohl, Rabumm!«
    »Rabumm«, sagte Onkel Willi. »Dann steig man ein.« Wir verstauten unsere Koffer und Schachteln und setzten uns auf die Polster. Das Pferd zog an. Durch die kleine Stadt rollten wir, durch ein Backsteintor, hinaus aufs Land.

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