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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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merken.« Dabei hatte er doch angefangen mit der verdammten Pinkelei!
    Tante Anna stand auf der Treppe, als wir ein paar Tage später zurückfuhren in die Stadt. Onkel Willi hockte schon steif auf dem Kutschbock, Werner und ich saßen hinten im Wagen. »Kommt bald wieder«, rief Tante Anna. »Und bringt Zentrifugen mit!«
    Onkel Willi knallte wütend mit der Peitsche, dass die Pferde mit einem Ruck anzogen. »Willst du wohl das Maul halten«, schimpfte er.
    In P., wo die Bahnstation war, trafen wir Ingeborg und Ziethen und Margot. Sie waren einkaufen gewesen. Wir verabschiedeten uns. Ingeborg schaute uns an. Wir waren verlegen, Werner wegen seines Gedichtes über das Fischerkind, ich wegen des Unglücksfalls. Wir waren beide ein bisschen froh, als unser Zug abfuhr. Unsere Versuche in ländlicher Liebe waren wohl als gescheitert anzusehen. Jedenfalls war Ingeborg kühl wie eine frisch geerntete Zuckerrübe.
    Im Zug hielt man uns wieder für tüchtige Jungen. Braun gebrannt und in Uniform, sahen wir aus, als ob wir einen wesentlichen Beitrag geleistet hätten, um die deutsche Ernährung sicherzustellen. Wir bildeten uns das auch selbst ein. Als der Zug die Stadt erreicht hatte, sahen Werner und ich, dass bei manchen Häusern die Wände aufgerissen waren. Man konnte hineinsehen wie in Puppenhäuser mit abnehmbaren Fassaden.
    Es gab jetzt viele Luftangriffe. Zu Hause hatte Ede die meisten Doppelfenster herausgenommen und im Keller gestapelt, und auf der Treppe und unter dem Dach standen Kübel und Tüten mit Löschsand. Unsere Laube war mit Brettern verschalt. Ede wühlte im Garten, um einen sogenannten Splittergraben zu bauen. Das war die neueste Erfindung. Wir trugen Holz zusammen und zimmerten den Graben aus. Fünf Jahre früher hätten meine Freunde und ich dieses Bauwerk als ideale Höhle angesehen. Jetzt bauten die Erwachsenen so etwas! Meine Mutter schleppte alles vermeintlich Wertvolle herbei. Großmutter inspizierte die Höhle, sagte: »Pfui Deibel, da wollt ihr drinhocken? Wie stinkende Füchse?«, und war nie zu bewegen, darin zusitzen. Sie blieb im Haus, im Keller. Aber im Herbst lagerte sie heimlich Winteräpfel im Splittergraben ein.
    Othmars Eltern baten um Asyl im Splittergraben. In der Kolonie Tausendschön bauten die Laubenbewohner einen mindestens hundert Meter langen Splittergraben auf der Wiese, auf der früher das sommerliche Gartenlaubenfest stattgefunden hatte. Der Graben wurde mit Zementbohlen verschalt. Er verlief im Zickzack. Später, als die Angriffe heftiger wurden, benutzten auch Leute aus den Siedlungshäusern den Splittergraben in der Laubenkolonie. Man kam einander immer näher.
    Großmutter wunderte sich, wohin Minnamartha zu rennen hatte:
    »Was ist nun schon wieder los?«
    »Ich mache was mit dem Schrankenwärter aus!«
    »Mit dem Schrankenwärter?«
    »Die Bahn kriegt früher Alarm. Wenn er Bescheid weiß, bläst er seine Tute.«
    »Und dann?«
    »Dann ist Frühwarnung. Gleich, wenn sie einfliegen.«
    »Wat soll der Blödsinn? Manchmal kommen sie gar nicht her.«
    Ich fragte: »Müssen wir da noch früher aufstehen?«
    »Ja, aber wir haben genug Zeit, um in den Bunker zu rennen.«
    »Ich will aber gar nicht in den Bunker.«
    »Ich auch nicht«, sagte Großmutter. »Da musst du schon allein rennen.«
    In der Nähe, aber immerhin noch ein Stück weiter weg als der Tausendschönsplittergraben, gab es jetzt einen nagelneuen Flakbunker, drei Meter Eisenbeton, absolut sicher. Den hatten Minnamartha und ein paar andere Frauenaus der Nachbarschaft sich ausgesucht. Minnamartha bepackte einen alten Kinderwagen, den sie im Keller gefunden hatte, mit Luftschutzgepäck: Eine Tasche mit Dokumenten, Kleidungsstücke, Notproviant, ein Reservekorsett. »Man weiß nie, was passiert«, sagte sie, und blieb damit ihrem Prinzip treu, das sie schon bei unseren Fressreisen in die Stadt veranlasst hatte, sich von Kopf bis Fuß frisch anzukleiden: »Falls man einen Unfall hat.«
    Der Bahnwärter blies seine Tute bei Voralarm, die Frauenkolonne, vier oder fünf Bunkerwillige, alle mit Kinderoder Handwagen, setzte sich in Bewegung und raste über einen düsteren Waldweg dem Bunker zu. Manchmal kam öffentlicher Alarm, manchmal nicht. Großmutter und ich schliefen weiter, bis die Sirenen heulten. Dann gingen wir in unseren Keller, der in jenen frühen Angriffstagen ungeschützt und unausgebaut war, abgesehen von einigen Sandsäcken, die Ede vor die Fenster gestapelt hatte, gegen Flaksplitter. Dass hier draußen

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