Muckefuck
Die Parteibonbons blitzten an den Aufschlägen. Blank blitzte im Mittagslicht auch der große Hausschlüssel der Fuckruschen, der neben ihr auf dem Tischtuch lag, als sie nun fast als Letzte an der verwüsteten Kaffeetafel saß, zusammen mit Johanna, die ein Fläschchen Likör besorgt hatte. Die bucklige, gekrümmte, rote Fuckruschen war die Einzige, deren Herz nicht höherschlug bei den mit Fanfarenstößen eingeleiteten Sondermeldungen. Sie war eine Spökenkiekerin. Sie sah Schutt und Trümmer überall. Wer glaubte ihr? Werner und ich lachten sie aus, als wir im Vorbeigehen ein paar düstere Prophezeiungen aufschnappten. Wir hatten auch anderes im Sinn. Denn im Stall war Ingeborg, frisch und adrett wie immer, und melkte Kühe.
Am Abend tranken alle viel von dem Kartoffelschnaps, den Onkel Willi aus schwarzen Quellen besorgt hatte. Der Kreisbauernführer, schon leicht betrunken und mit klebriger, feuchter Stirnlocke, hielt eine Rede auf die deutsche Ehe, an die Adresse von Ziethen, der gutmütig lächelte, und die Braut Margot gerichtet. Margot kratzte sich ausgiebig unter der Achsel. Dann standen alle auf und tranken ex, und noch mal ex, und noch mal, und der Kreisbauernführer plumpste in seinen Sessel zurück und sagtezu Onkel Willi: »Mensch, soll ich dir mal erzählen, wie ich sechzehn in Reims die französische Nutte gevögelt habe?« Damit war man von den Ermahnungen für eine reine deutsche Ehe zum gemütlichen Teil des Abends übergegangen. Die Bäuerinnen, soweit sie im Dorf wohnten, waren nach Hause gegangen, um das Vieh zu besorgen. Die Männer hielten sich an den Kartoffelschnaps, aßen kalten Schinken von der letzten Schwarzschlachtung und Brot mit Butter, die auf den von uns geschmuggelten unplombierten Zentrifugen erzeugt worden war. Es war wie in alten Zeiten.
Wo war Ingeborg? Ziethen spielte das Schifferklavier, und Johanna zupfte die Klampfe. Er spielte Wenn das Schifferklavier an Bord ertönt und Lili Marleen und alle Lieder, die Ilse Werner in den neuen Ufa-Filmen pfiff. Die jungen Leute rollten den Teppich auf, in dessen vielen Löchern man sich zu leicht verfing, schoben das Klavier hinaus, das keiner spielen konnte, und tanzten. Die Alten verkrümelten sich. Sie soffen in den anderen Zimmern weiter. Der Kreisbauernführer kotzte draußen im Hof beim Misthaufen, band sich die Krawatte ab und kam wieder rein, um weiterzusaufen. Ingeborg tanzte wunderbar. Aber nicht mit uns. Wir konnten nicht tanzen.
Plötzlich war Werner verschwunden. Und Ingeborg auch! Ich suchte sie überall, konnte sie aber nicht finden. Im Flur fing mich Tante Anna ein. »Was, du bist noch nicht im Bett?«, fragte sie, »Marsch, nach oben!«
Ich ging langsam hinauf. Vor mir drehte sich alles, denn ich hatte natürlich auch von dem Kartoffelschnaps probiert. Von unten her hörte ich Ziethen spielen: Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt’ ich auf mein Grab… Aus der Räucherkammer schlüpfte die Fuckruschen mit einer Wurst unter dem Arm. Sollte sie. Sie sah mich böse an im Halbdunkeln. Ich warf mich angezogen aufs Bett, aber ichkonnte nicht einschlafen. Hier lag ich nun im Dunkeln, Karl Kaiser, jetzt Einfamilienhausbewohner, aber fremd unter all den Menschen. Onkel Willi mit dem Parteibonbon, die unheimliche Fuckruschen, und Ingeborg, die ich liebte, und die mich wohl nicht wiederliebte.
Plötzlich musste ich mal. Weil ich zu betrunken war, um nach unten zu gehen, pinkelte ich aus dem Fenster. Unten war ja nur der Park. Aber als der Strahl unten auftraf, hörte ich laute Schreie und Flüche. Mir war es gleich. Würde ich eben sagen, Rabumm sei’s gewesen. Ich wankte zum Bett zurück -. Aufrecht blieb ich sitzen. Wenn ich mich zurücklehnte, drehte sich wieder alles. Nach einer Weile kam Werner nach oben, ohne Licht zu machen, zog er sich aus. »Werner?«, fragte ich. – »Was denn!« – »Werner, hast du sie geküsst?« Werner kam auf mich zu, und plötzlich haute er mir eine runter. »Fensterpisser«, sagte er.
Er war es also gewesen. Er und Ingeborg. Ich fiel in die Kissen zurück, und musste kichern. Betrunken und traurig und glücklich zugleich schlief ich ein, ich, Karl Kaiser, der nun ohne Zweifel erwachsen wurde. Karl Kaiser in der Fremde. Die Ziehharmonika hatte aufgehört zu spielen. Ziethen küsste wohl seine Braut. Irgendwo im Dunkeln.
Ingeborg bekamen wir am nächsten Tag nicht zu sehen. Ziethen grinste, als er mich sah. »Düwel«, sagte er, »solche Tricks von die Stadtmenschen muss man sich
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