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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Bomben fallen würden, glaubte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Die Stadt, das Zentrum, beharkten die Tommys, aber hier, wo die Häuser einzeln und frei standen, lohnte es sich doch nicht.
    Wenn wir nach der Entwarnung vor den Keller traten, sahen wir nun über der Stadt fast immer einen rötlichen Schein. Brandbombenangriffe. Was die Sprengbomben anrichteten, sahen wir bei Tage: Zerstörte Häuser nun in allen Bezirken. Längst hielten sich die Glasermeister mit ihren Angeboten zurück, zersprungene Scheiben zu erneuern. Glas war knapp, und die Leute nagelten Pappendeckel vor ihre Fenster.
    Othmar, Werner und ich sammelten immer noch Knochen, Buntmetall, alte Zeitungen. Die Einfamilienhäuser der anderen Siedlungsbewohner begannen innen dem unseren ähnlich zu werden. Wertvolle Möbel und Teppichehatten die Leute in die Keller geschafft. Bei vielen waren die Vorhänge abgenommen wegen Brandgefahr.
    Fast jeder trug jetzt irgendeine Uniform.
    Der Winter kam, Großmutter hortete die Goldrenetten in unserem Luftschutzbauwerk. Ede bestach einen Lokomotivführer, täglich aus dem planmäßigen Vierzehnuhrvier Kohle abzuwerfen, wenn er bei uns vorbeifuhr. Denn Kohle wurde knapp. Die Einfamilienhausbesitzer kauften sich Öfen und legten die Zentralheizungen still. Aus Frankreich kamen Urlauber und brachten echten Bohnenkaffee mit. Die Gefreitengattinnen aus der Laubenkolonie trugen Füchse um die Schultern, aus Paris. Auf den Wäscheleinen flatterte schwarze Unterwäsche.
    Wenn man auch um einen eisernen Ofen hockte, und wenn man sich auch nachts in die Erde verkroch: man siegte. Nun würde der Führer sicher England angreifen. Denn wir fahren, denn wir fah-ren, denn wir fah-ren gegen Engelland! sangen wir jetzt, wenn der Jungenzug Jomswikinger marschierte. »Na seht ihr«, sagte meine Mutter. »Es geht voran!« Auf dem freien Feld neben der Laubenkolonie grub sich eine Flakbatterie ein.
    Tante Lizzi trug nun zu ihrer langen Zigarettenspitze Hosen im Marineschnitt, unten ganz weit. Ihrem Mann, dem Bomberpilot, hing ein höherer Orden aus dem Kragen für Verdienste bei der Luftschlacht um England. Sie zeigte uns ein Foto.
    Im nächsten Jahr entschied sich der Führer anders. Abgesehen von Bombenangriffen auf London und U-Boot-Krieg ließ er England ungeschoren und entschloss sich, das russische Untermenschentum zu bekämpfen, das eine Bedrohung darstellte für die germanische Rasse. Unsere tapferen Soldaten marschierten wieder. Die Fanfaren dröhnten ausdem Radio. Sieg folgte auf Sieg. Auch wir ließen Engelland sein und sangen nun: Am Wege rote Rosen blüh’n – wenn die MG-Kas nach Moskau zieh’n. Ziethens Regiment war erfolgreich an der Kesselschlacht von Bialystok und Minsk beteiligt. Ede, nur Ede, stellte Vergleiche an mit Napoleons Russlandfeldzug. Aber er war allein auf weiter Flur mit seinen Unkenrufen.
    Die deutschen Panzerspitzen näherten sich Moskau. Wir saßen in den Klassenzimmern bei offenen Fenstern, wiederholten, dass das Quadrat über der Hypothenuse gleich der Summe der beiden Kathetenquadrate ist.
    »Der beiden Kathetenquadrate«, rief der Mathelehrer in den Raum. »Habt ihr das verstanden?«
    »Jawohl«, riefen wir vormilitärisch.
    »Gut«, sagte der Pauker, »vergesst das nicht, wenn ihr Kartoffeln buddelt.«
    »Kartoffeln?«
    Der alte Pauker winkte ab. »In zehn Minuten antreten. Auf dem Schulhof. Dann werdet ihr hören.«
    Die oberen Klassen versammelten sich im Hof. »Bismarckschule – stillgestanden!«, rief der kriegsdienstunfähige Turnlehrer, seine verkrüppelte Hand zum Gruß ausstreckend. »Mann«, murmelte Rabumm, »die verarschen uns doch.«
    Grau von Staub waren die Kastanienbäume am Rand des Platzes. Niemand sprengte hier mehr. Wir lauschten der Ansprache des Turnlehrers.
    »Bismarckschule, es ist eine Ehre, dass wir die Aufgabe übernehmen dürfen, die Ernte einzubringen«, rief der Turnlehrer. Othmar, mit blonden Locken immer noch, schaute seine Hände an. »Au warte«, murmelte er. »Hiermit?«
    »Bismarckschule – weggetreten!«
    Minnamartha las in heller Aufregung den Merkzettel.»Was soll denn das? Du kannst doch zu Onkel Willi fahren!«
    »Befehl ist Befehl!«
    »Und hier steht, ihr sollt einen Affen mitbringen. Wozu denn einen Affen?«
    Ich klärte Minnamartha auf, dass es sich um einen Tornister handelte, der Affe genannt wurde, weil er hinten mit Fell bezogen war, und dass ich einen kriegen könnte, von Leuten, deren Sohn Soldat war.
    »Also gut«, seufzte Minnamartha.

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