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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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mit der linken Hand seine Hose auf. Er musste mal. Schamvoll schauten Werner und ich weg. Das Mädchen, Margot, löste sich nämlich keinesfalls von ihm, sondern blieb, Arm eingehängt, bei ihm stehen und schaute zu, wie sich nun ein kräftiger Strahl hell und dampfend gegen den Pfosten des Weidezauns richtete, an dem wir entlanggegangen waren. Sie blickte auch nicht weg, als er, leicht in die Knie gehend, die letzten Tropfen abschüttelte und die Tülle wieder in der Hose verstaute. Dann nahm er die Ente wieder, und der Zug schritt weiter. Werner und ich schwiegen. So etwas hatten wir noch nie gesehen! Und jeder von uns dachte, ob wohl unsere entsagungsvolle Art, Ingeborg zu verehren, die richtige sei. Ich schaute mich um. Von dem Zaunpfahl dampfte es noch.
    Ein wenig später sahen wir weit entfernt am Himmel einen roten Schein. Berlin brannte. Ein Luftangriff hatte die Reichshauptstadt getroffen.
    Werner und ich nahmen am Leben des Dorfes und der Familie teil, wie es sich ergab. Mit Ingeborg waren wir nicht viel weitergekommen. Fast konnte ich annehmen, dass meine Chancen gestiegen waren. Denn eines Tages fand ich Ingeborg hinter der Scheune, über einen Zettel gebeugt, auf dem etwas unglaublich Komisches stehen musste, denn während sie las, schien sie sich umbringen zu wollen vor Lachen und Glucksen und allerlei Verrenkungen. Ich fragte sie, was sie da lese. Schnell versteckte sie den Zettel hinter ihrem Rücken. »Es ist ein Gedicht«, sagte sie und bekam einen neuen Lachanfall. Ich hielt ihre Arme fest und beugte mich über sie, um ihr den Zettel zu entreißen. Auf einmal stieg mir wieder der wundervolle frische Geruch indie Nase. Ihr roter Mund war vor meinen Augen. Ich hatte Lust, sie zu küssen. Aber ich tat es nicht.
    Endlich erwischte ich den Zettel, der schon ganz zerknüllt war. Wir waren außer Atem. Ingeborg kreuzte die Arme vor der Brust, die sich schnell hob und senkte nach dem Kampf. »Lies«, sagte sie. Ich las. Es war ein Gedicht. Es war überschrieben: »Zur Erinnerung an eine Nacht am See«, und es lautete:
    Seerosen liebt das Schifferkind
wenn sacht im leisen Sommerwind
sich stille Wasser kräuseln.
Im Röhricht Geister säuseln,
die über ihren Schätzen wachen.
Es schwankt der leichte Nachen.
Tief sich das Mädchen vorwärts neigt.
Noch einmal alle Schönheit zeigt
sich ihr. Dann zieht es sie hinab.
Der See wird kühles Grab.
    Ingeborg stand da und lachte wieder. Sie lachte künstlich. »Ha-ha-ha-ha!« – »Von Rabumm?«, fragte ich.
    Sie nickte. Dann trat sie einen Schritt vor, nahe an mich heran. Sie schaute mir in die Augen. »Was seid ihr beide nur für Dussels«, sagte sie. Und drehte sich um und rannte davon über die Wiese. Ich zerknüllte den Zettel mit dem Gedicht und ließ ihn ins Gras fallen, weil ich gelesen hatte, dass man das so machte. Ich schritt, ein Einsamer, der eine brennende Liebe im Herzen trug, zurück zum Hof. Ich ging nicht, ich schritt. Denn auch das hatte ich gelesen.
    Über Werner staunte ich. Ein Kumpel, der Leghorns die Flügel blau färbte, und nun machte er Gedichte! Gedichte ausgerechnet für Ingeborg. Für ein Mädchen, dessen Werter gar nicht ermessen konnte. Nur ich allein, dessen war ich sicher, konnte Ingeborg so lieben, wie sie es verdiente. Dieser Rabumm! Und sein Gedicht! Seerosen liebt das Schifferkind! Es war doch einfach unerhört. Es war mehr. Es war geschmacklos und hanebüchen. Die alte Fuckruschen müsste man auf ihn hetzen, damit sie ihn verhexte!
    Ich trug meine Einsamkeit durch den Hof, wobei mich glücklicherweise niemand sah, und ging zum Tor hinaus auf die Felder. Das heißt, ich schritt immer noch. Und ich schritt auch über die Hügel, über die Stoppeln der abgeernteten Acker und durch die Zuckerrübenreihen.
    Schließlich traf ich Onkel Willi und Ziethen, die dabei waren, den uralten Trecker zu reparieren, der zum Hof gehörte, und der dauernd irgendwo auf den steinigen Wegen mit einem neuen Schaden liegen blieb.
    »Na mien Jong«, sagte Onkel Willi, »wo fehlts denn?«
    »Och, nichts«, sagte ich und beugte mich interessiert über den Motor. »Ich habe euch schon gesucht.«
    »So, so«, sagte Onkel Willi. Weiter nichts. Ich hatte ein unsicheres Gefühl. Wer weiß, was Onkel Willi sich dachte. Nachdem die beiden ein halbes Kilo Draht verarbeitet hatten, bekamen sie den Traktor wieder in Gang. Ziethen setzte sich ans Steuer. Für Onkel Willi gab es einen Sitz auf dem einen Kotflügel, und ich stellte mich hinten auf den Haken, an dem

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