Muckefuck
zufälliger Benutzer versuchte, Habachtstellung einzunehmen und hintenüber in die randvolle Grube stürzte.
Hauptmann Untrieb war immer dabei, ein schnarrender, unerbittlicher Zwerg, in Graublau durch Qualm und Rauch watend, ein Kommisshengst, der ungeniert den inzwischen eingetroffenen NS-Führungsoffizier zusammenschiss und auf wackere, preußische Art half, den Endsieg als Fata Morgana darzustellen.
NS-Führungsoffiziere waren die neueste Erfindung, seit der Führer in seinem Herzen Misstrauen gegen die Offiziersclique hegte. Führungsoffiziere sollten in den Einheiten Liebe zur Partei fördern, sollten verhindern, dass die Idee des Nationalsozialismus abhanden kam. Weil die paar aktiven Kanoniere, die es neben Flakhelfern, Blitzmädchen und Hiwis noch gab, mit technischen Aufgaben beschäftigt waren und das Fliegerfett Blau nicht mehr von den Händen bekamen, widmete sich auch unser NS-Führungsoffizier vornehmlich den Luftwaffenhelfern. Zwischen Sinus und Cosinus, zwischen Geschützreinigen und Ballistikunterricht verfolgte uns der Mann, Parteibonbon neben dem EK I an der Brusttasche der Uniform. Gelegentlich fing er uns ein und hielt kleinere Reichsparteitage ab:
»Ich zitiere den Führer! ›Wenn ich euch so sehe, dann wird es mir schwer zu sprechen. Uns allen geht das Herz über vor Freude über euch! Ihr wisst gar nicht, wie das deutsche Volk euch lieb gewonnen hat!‹ – Ende des Zitates!«
Draußen kurbelten die Tiefflieger, denen Rabumm aus sicherer Deckung zuschaute, ehrfürchtig und froh »infernalisch« murmelnd. Rabumm drückte sich vor Weltanschaulichem, das hielt er nicht aus. Nicht einmal schlafend. Zwischendurch besorgte er uns vom Sani Zinksalbe, die wir auf unsere Handgelenke strichen. Die Haut war vom Blei der Führungsringe zerfressen, und wir sahen mit unseren Bandagen wie Boxchampions vorm Anlegen der Sechs-Unzen-Handschuhe aus. »Wächst sich wieder zusammen«, sagte der Sani. »Immer schön Zinksalbe drauf. Und von innen Aspirin.« Aspirin gab es in jeder gewünschten Menge.
Gegen Kriegsende stellten Großdeutschland und die Partei uns ein paar gefährliche Fallen. Unser Parteibonbononkel hatte es sich in den Kopf gesetzt, aus seinen verpennten, mit Cäsars Bellum Gallicum verbildeten Zuhörern linientreue Kämpfer zu machen. Die gefährliche Fallgrube, die dieser Mann vorbereitete, hätte ihre Wirkung gehabt, wenn nicht eine kleine private Vorsehung jener Vorsehung entgegengewirkt hätte, die Führer und Partei für sich in Anspruch nahmen.
Hier kreuzten sich die Wege von mir, Karl Kaiser, und Dr. Annelu Rohleder, einer Wiener Ärztin. Mit etwa zwanzig anderen Flakhelfern, darunter auch Rabumm und Wulle Schnief, wurde ich zur Tauglichkeitsuntersuchung wegen Übernahme in die Waffen-SS befohlen.
In der immer noch nicht zerbombten Badebaracke derGroßbatterie versuchten wir, die Spuren von Fliegerfett Blau zu tilgen, die in jeder Hautfurche saßen. Der Sani klebte uns frische Pflaster über die verkrätzten Handgelenke. In Richtung Reichshauptstadt setzten wir uns in Marsch, dem anscheinend Unentrinnbaren entgegensehend, begleitet von Unteroffizier Niedlich, der auch die Gelegenheit der Bahnfahrt benutzte, uns aus dem Born seiner Erfahrungen kosten zu lassen. Mit Erstaunen erfuhren wir nebenbei, dass es mit der Tripperfrieda aus war. Auf ihren eigenen Wunsch hatte man sie, trotz Holzbein, dienstverpflichtet. In einer fernen Stadt schraubte sie jetzt Zünder auf Panzersprenggranaten.
Am nächsten Tag standen wir stundenlang nackt auf kühlem Linoleum. Das Bohneröl färbte unsere Fußsohlen braun. Ein mürrischer Stabsgefreiter befahl uns, in Uringläser zu pinkeln, die er dann mit unserem Namensetikett versah, während er zwischendurch in beneidenswert dick belegte Wurstbrote biss. Schließlich trieb er uns in einen großen Saal, vor dessen intakter Fensterfront an zusammengerückten Tischen etliche SS-Offiziere saßen. Zwischen ihnen, im weißen Ärztemantel, eine Frau: Dr. Annelu Rohleder, die mit ihren funkelnden böhmischen Augen angelegentlich auf unsere hängolingeschädigten Geschlechtsteile starrte. Dann schweifte ihr Blick über unsere ausgemergelten Schülerkörper. Schweigen lastete über der Versammlung. Plötzlich wendete sich die Ärztin, in unserer Gegenwart, den übrigen Mitgliedern der Kommission zu:
»Meine Herren«, sagte Dr. Annelu Rohleder, »so geht das doch nicht! Die Buam« – sie fiel ins Wienerische – »die Buam kippen uns doch aus den Stiefeln, bevor
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