Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
Batteriestellung führte eine Kirschbaumallee, vielleicht achthundert Meter lang. Während wir, Stahlhelm auf, Gasmaske umgehängt, zwischen Baracke und Kanone über frostharten Boden, durch Schlamm und über zerfetzte Grasnarbe schlurften, erlebten wir, wie sich zuerst an den kahlen, schwarzen Stämmen zartes Grün zeigte, wie die Bäume blühten, die Kirschen gelb, dann hellrot wurden. Dunkelrot, die Farbe der Reife, erreichten sie nie, denn vorher wurden sie vom Zweig gerupft und verschlungen,wie alles in Batterienähe, was essbar war, einschließlich Zuckerrüben und Sauerampfer.
    Dreißig Flakhelfer stürzten sich auf einen Kessel mit lauwarmer Soße aus braunem, leicht ätzendem Bratlingspulver, in der höchstens fünfundzwanzig blau angelaufene Kartoffeln dümpelten. An hohen Festtagen oder nach Siegen, die allerdings immer seltener wurden, schwammen zuweilen winzige Fleischbröckchen in der braunen Tunke. »Sieht aus wie Bismarcks letzter Husten«, stellte Rabumm dann ungnädig fest.
    »Kiek mal, jetzt werden se jelb«, sagte Obergefreiter Günthner eines Tages. Er meinte die Blätter an den Kirschbäumen, die getrocknet, als Hauptfüllstoff für die von ihm erfundene Günthner’sche Verzweiflungszigarette dienten. »Man nehme«, dozierte der alte Flakmann, »Zigarettenpapier, sechs Krümel echten Tabak, zur Not aus dem Futter der Manteltasche zu klauben, fülle mit getrockneten Kirschblättern auf und drehe. Die so erhaltene Zigarette ist unvergleichlich im Aroma.«
    Manchmal hatte er nicht mal Zigarettenpapier, dann nahm er Zeitung oder alte Urlaubsscheine. »Urlaubsscheine sind gar nicht schlecht«, meinte Günthner, »das Papier ist leicht und fest.«
    Luftwaffenhelfer, als Jugendliche eingestuft, bekamen keine Zigarettenzuteilung. So fehlte es uns manchmal an den vorgeschriebenen sechs Krümeln Echttabak.
    Der nächste Winter kam, wir verschossen Marinemuni mit fünf Meter langem Mündungsfeuer, wodurch wir für die anfliegenden Bomber deutlich sichtbar wurden, und sie bezogen uns in ihre Bombenteppiche mit ein.
    »Das Hydrierwerk«, meldete der Leutnant aus Insterburg eines Tages beim Morgenappell, »ist zerbombt.« DiePanzerfaustfabrik arbeitete noch mit einem Viertel ihrer Kapazität, unterirdisch. Das Flakregiment schickte einen Leutnant und zwei Unteroffiziere, die uns in der Handhabung der Panzerfaust, dieser neumodischen Panzerabwehrwaffe, unterwiesen. Klug hatte sich irgendjemand ausgerechnet, dass wir dieses Wissen bald würden anwenden können. Druck auf den Knopf, ein Rucks, ein Knacks… es war wirklich eine Freude, zu sehen, wie das kleine Ding davonzischte und die Trümmer einer ausgebrannten Zugmaschine durcheinanderwirbelten. »Rabumm, rabumm«, schrie Pethmann, und musste wieder Liegestütze machen. Die Kommission beanstandete, dass wir mit Hand am Helmrand grüßten statt, wie nach dem zwanzigsten Juli vom Führer vorgeschrieben, mit zum Deutschen Gruß erhobenen Arm.
    »Dauerfeuer«, verkündete Niedlich eines Tages, »ist untersagt. Wegen Munitionsmangel.« Es gab nur noch Gruppenfeuer auf Klingelzeichen von der B 1 (Befehlsstelle in Batteriemitte). Werner Pethmann zeichnete jetzt die Bomberkurse nach fernmündlichen Angaben auf dem Behelfsgerät Malsi 42 ein, wenn die Übertragung vom Funkmessgerät (FuMG) wegen Bombentreffern im Stromnetz ausfiel. Auch die Dieselaggregate zur Eigenstromerzeugung bekamen gelegentlich etwas ab.
    Wir schlugen uns bei abnehmender Feuerkraft nun auch mit Tieffliegern herum. Das Personal unserer Zweikommazwei-Vierlinge fiel ziemlich oft aus.
    Kurzum: Anhand des zunehmend Unerfreulichen erwachte unsere Wahrnehmungskraft wieder. »Wenn alles in Scherben fällt …« Hauptmann Untrieb, der Abteilungskommandeur, ließ sich nun öfter in einem riesigen Horch-Kübelwagen zwischen den Trümmern seiner Großbatterie umherkarren, ein Zwerg mit krummen Kavalleristenbeinen. Riesig war an ihm einzig sein Ritterkreuz, das ihm auf der Brust hin- und herbaumelte. Untrieb trug nie einen Mantel, stelzte im Geschwindschritt über Kabelgräben und ausgelaufene Phosphorkanister, verdonnerte Niedlich zu vier Tagen Bau, weil der seinen Gasspähtrupp nicht binnen Minuten zusammenbekam, beförderte uns im Vorbeigehen zu Luftwaffenoberhelfern (silberne Litze auf der Schulterklappe, Tageslöhnung von vierzig auf sechzig Pfennige erhöht), bedrohte zwei Hiwis mit Erschießen, weil sie Machorka rauchten, und inspizierte die immer noch nicht vernichtete Latrinenanlage, wobei ein

Weitere Kostenlose Bücher