Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
sie an der Front sind. Schaun’s doch nur!«
    Allgemeines Durcheinander bei den Heldenklaus. Einige Herren der Kommission standen auf, umringten die Ärztin, redeten auf sie ein. Der mürrische Wurststullenstabsgefreite scheuchte uns zurück in sein Pinkelkabinett.
    Wir durften uns anziehen. Nach weiteren zwei Stunden wurden wir weggeschickt. Die SS-Frage warf niemand mehr auf.
    Warum alles so gelaufen war, erfuhr ich erst Jahre später, als ich wegen einer Reihenuntersuchung ins Allgemeine Krankenhaus kam, nach dem Krieg bereits, und dort jene Annelu Rohleder traf, Oberärztin, mit immer noch funkelndem Blick, aber ein wenig auch schon in die Breite gegangen. Doch die Szene vor der Kommission stand mir vor Augen, und vorsichtig sprach ich die ehemalige SS-Doktorin darauf an. Es war ihr zuerst unangenehm, dass jemand in ihrer nicht ganz einwandfreien Vergangenheit wühlte, die auch um ein Haar ihre Karriere zum Scheitern gebracht hätte, aber sie war zuerst einmal nach Wien zurückgegangen.
    »Oh, damals«, sagte Dr. Rohleder, »Ich erinnere mich genau. Warum ich die Kommission beredet habe, Sie alle abzulehnen, weiß ich auch nicht. Aber ich – plötzlich sah ich Sie alle an der Ostfront, und das tat mir leid.«
    Unteroffizier Niedlich hatten wir damals, nach längerer Suche, in einer Kneipe gefunden, die Nase röter denn je, und voll mit Mollen und Korn.
    Niedlich grinste über seine Beulen und Pflaster und seine Nase hinweg wie ein Karussellpferd. »Waffen-SS stillgestanden!«, brüllte er. »Ein Volk, ein Reich, ein Führer!«
    »Herr Unteroffizier«, sagte Werner Pethmann, »es ist nicht sicher, ob sie uns übernehmen.«
    »Nicht sicher?« Niedlich zupfte an einem seiner Heftpflaster. »Nicht sicher? Ich dachte, die wollten mit euch den Krieg gewinnen? Die werden euch schon nehmen, ihrSauhufe.« Er holte sein riesiges blaues Luftwaffentaschentuch heraus und polierte seine Nase.
    »Stillgestanden«, rief er. »Urlaub bis morgen früh! Aber seid mir ja um sieben am Flakbunker. Pünktlich. Sonst schleife ich euch die Klunkern!«
    Großmutter wollte den neu aufgefüllten Eiervorrat der geretteten Hühner, die wieder einigermaßen gut legten, in einen Kartoffelkuchen hineinarbeiten: Zwölf Eier! Minnamartha war dagegen:
    »Zwölf Eier! Mutter, manchmal weiß ich gar nicht, was du für ein Mensch bist. Was soll dann die ganze nächste Woche werden? So viel legen die nicht. Legen die einfach nicht! Die waren doch dabei, bei der Bombe. Die legen einfach nicht mehr richtig!«
    Großmutter blickte trotzig durch die Brille. »Die werden schon legen. Menschlein braucht was Kräftiges. Siehst du doch, wie der aussieht.«
    »Immerhin hat ihn das wahrscheinlich vor der SS gerettet.«
    »Was ist denn das nu wieder? Kinder nehmen sie doch nicht in die SS.«
    »Hach, mit dir kann man ja nicht reden!«
    »Jetzt soll auch nicht jeredet werden, jetzt wird jebacken! Menschlein, hol die Eier.«
    »Alle zwölf?«
    »Alle zwölf!«
    So wurden also Kartoffeln gekocht, gepellt, mit Zucker, den Eiern und ein wenig Milch mit viel Wasser verknetet, um das damals so beliebte Kartoffelkuchenwunder herzustellen.
    Ede, in Ermangelung verwundeter Vierbeiner mit viel Freizeit gesegnet, nahm an der Vertilgung des Napfkuchens teil, hörte sich die SS-Geschichte an und murmelte, Kuchenkrümel verstreuend: »Verdammt, verdammt!«
    »Gräbst du noch in der Ruine?«, fragte ich Ede.
    »Natürlich. Du weißt doch, den Husarenkrug haben wir wiedergefunden. Gar nicht kaputt. Da drüben steht er. Schön, nicht? Und die Ente. Vielleicht finde ich den Schnabel noch. Gestern habe ich sechs Flaschen Opekta gefunden.«
    »Opekta? Was ist das?«
    »Einmachhilfe«, sagte Minnamartha. »Für Marmelade.«
    »Braucht ihr denn das?«
    »Im Moment nicht«, sagte Ede. »Aber es ist schön, etwas zu finden. Wo schon sonst alles hin ist. Alles im Arsch, mein Führer. Der Kuchen ist übrigens gut. Viel Eier drin, was?«
    »Zwölf Stück«, rief Minnamartha entrüstet. Sie wedelte mit ihrem Kuchenstück. Ede wackelte mit dem Kopf, sagte aber nichts. Großmutter, den Daumen in ihrem Kaffeetopf, den sie jetzt immer im Schoß hielt, lachte vergnügt. »Alle zwölf.«
    Zum ersten Mal sah ich, dass Edes Haare grau geworden waren. Ich wunderte mich, dass er Opekta ausgrub, während die russischen Panzerspitzen zur Oder vorstießen. Er schien meine Gedanken zu erraten:
    »Du meinst, es gibt Wichtigers als Einmachhilfe auszubuddeln, wie? Aber wir alle können im Augenblick nichts

Weitere Kostenlose Bücher