Muckefuck
anderes tun als versuchen, zu überleben. Da setzt ein Schutzmechanismus ein. Wer überleben will, muss sich an Kleinigkeiten klammern.«
»Glaubst du, dass der Russe bis hierherkommt?«
»Eigentlich nicht. General Pattons Panzer sind durchgebrochen. Sagt jedenfalls BBC. Die Amis müssten das Rennen gewinnen.« Er schaute mich an. »Meinst du, die SS-Geschichte ist wirklich erledigt?«
»Ich glaube schon. Die Ärztin war der Meinung, dass wir unterernährt sind.«
»Siehste«, sagte Großmutter. »Und da wollt ihr, dass ich den Kuchen ohne Eier backe.«
»Nicht ohne, Mutter«, beschwichtigte Minnamartha sie. »Aber du tust ja, als ob du die Eier selbst legst!«
Seltsamerweise gab es weder am Tag noch in der Nacht Alarm. Die Bomberkommandos hatten wohl langsam Schwierigkeiten, noch lohnende Ziele zu finden. Oder sie sparten sich ihre Badeöfen für Japan auf, weil es hier sowieso zu Ende ging.
Die Kolonie Tausendschön war und blieb so gut wie unversehrt, ein Paradies in der kaputten Stadt, eine Oase. Fast eine Sehenswürdigkeit. Selbst die Laube unseres Supernazis Gallert stand hell im Sonnenschein, nur ein paar Fensterscheiben waren zerbrochen. Der Fahnenmast ragte kahl in den Himmel.
»Was macht Gallert?«, fragte ich.
Ede lachte. »Er glaubt an den Endsieg. Aber er traut sich nicht aus der Bude. Die Leute schmeißen mit Steinen nach ihm.«
»Goebbels sagt, eine Wunderwaffe kommt«, ließ Minnamartha sich vernehmen, ganz gegen ihre Gewohnheit, denn sonst sprach sie nie über aktuelle Ereignisse.
»Possen«, meinte Ede. »Dazu ist es zu spät.«
»Esst nur den Kartoffelkuchen«, ermunterte Großmutter uns. »Was anderes jibts nicht.«
In der Nacht danach hockten wir schon wieder im dunklen Bereitschaftsbunker. Unteroffizier Niedlich, am glimmenden Ende seiner Zigarette zu orten, war ungewöhnlichschweigsam. Nur manchmal murmelte er: »Hurenarsch, verdammtes«, und als Echo dazu erklang Bruno Bohnes meckerndes Lachen.
In dieser Nacht bekamen wir einen Bombenteppich in die Batterie gefetzt.
Endlich zeigten sich wieder Knospen an den übrig gebliebenen Kirschbäumen. Morgens krachte Lufteis unter unseren Knobelbechern, gegen Mittag verwandelte sich das Batteriegelände in einen Schlammpfuhl. Rabumms neueste Preisfrage: »Wie bekommst du den Lehm von den Stiefeln?« – Antwort: »Trocknen lassen und einen Vorgesetzten kräftig in den Arsch treten!«
Die Abteilung musste jetzt fast alle übrigen Aktiven für die Front abstellen. Hauptmann Untrieb schlüpfte in die neue Rolle des Heldenklaus. Eines Tages waren auch Unteroffizier Niedlich und sein Ladekanonier Bruno Bohne dran. Vergeblich wies Niedlich auf seine kombinierten Geschlechtsleiden hin: »Den Tripper können Sie in Masuren auskurieren«, schnappte Hauptmann Untrieb, und sein Ritterkreuz pendelte heftig.
Eine Geschützbesatzung bestand jetzt aus: Luftwaffenhelfern als Geschützführer und Ladekanonier, einem ergrauten, nicht frontverwendungsfähigen Obergefreiten als K 7, der dem Ladekanonier die Patronen zureichte, aus neuerdings rekrutierten fünfzehnjährigen Lehrlingen als Richtkanonieren und einigen russischen Kriegsgefangenen, die als Hiwis die Munischlepper machten.
Drei Wochen nach dem Bombenteppich wurden alle Flakhelfer, die damals an der SS-Untersuchung teilgenommen hatten, zur Schreibstube gerufen. Eingedenk Niedlich’scher Abschiedsempfehlung: »… und hütet eure Eier!« umschlichen wir den riesigen Horch Hauptmann Untriebs, in der Hoffnung, dem Gestrengen zu entgehen. Aber er lauerte schon auf uns in der Schreibstube. Wir machten beim Eintritt ein paar zackige Bewegungen, erhoben die Hände zum Deutschen Gruß.
»Luftwaffenhelfer, rührt euch!«, sagte Untrieb. »Ihr habt euch anderthalb Jahre lang in meiner Abteilung wacker geschlagen. Für das Vaterland. Großdeutschland. Unseren Führer. Ich danke euch. Ich habe euch hierherbefohlen, weil ihr entlassen seid. Persönlich bedaure ich das. Ihr habt bewiesen, dass ihr die Heimatfront verteidigen könnt, und ich wünschte, ich hätte genügend solche Soldaten bei unseren Einheiten an der Front.
Ihr setzt euch heute Abend mit vollem Gepäck zum Flakbunker Zoo in Marsch, wo ihr eure Entlassungspapiere bekommt. Warum, weiß ich nicht. Befehl vom Flakregiment auf höhere Anoranung. Ihr habt euch dann zur Verfügung des Wehrkreiskommandos zu halten. Wehrpass wird jedem ausgehändigt. Meldung beim zuständigen Wehrkreiskommando zweimal die Woche. Verstanden?«
»Jawohl, Herr
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