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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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überall fand, wo eine Flakkanone feuerte, schaute mit mir von der Cäsarplattform des Flakbunkers über den Tiergarten, jene riesige Parkanlage mitten im Ruinenmeer, in deren letztem Zipfel der Reichsmarschall zwei Riesenungetüme aus Stahlbeton hatte errichten lassen, die Flakbunker Zoo.
    Ein erster Hauch von Grün zeigte sich wirklich über dem Tiergarten, aber näher durfte man nicht hinschauen. Der Berliner liebster Park war eine Kraterlandschaft. Kaum ein alter Baum stand noch. Was Luftminen nicht verwüstet hatten, war im letzten kalten Kriegswinter in die Kanonenöfen der Anlieger gewandert. »Wenn ick so’n Lindenkolben aus’n Tiergarten vaheize, kann ick mir noch wat bei denken. Det hält doppelt warm«, war der viel zitierte Spruch eines Hausmeisters aus der Budapester Straße.
    Ich fragte den Obergefreiten, ob er diesen Ausspruch kenne. »Klar«, sagte er. »Aber leid tut’s mir doch. Die schönen alten Bäume.« Er zeigte zur anderen Seite: »Da unten, das ist der Zoologische Garten. Ein paar Tiere sind noch da. Lustig ist’s auch nicht für die, wenn wir ballern. Und eine Menge Treffer haben sie auch abbekommen. Zwei Elefanten mussten notgeschlachtet werden. Da gab’s tagelang Elefantenschnitzel.«
    Ich dachte an unsere Zooaktie, an jene frühen Tage, als ich, Menschlein, den Affen beim Onanieren zusah, während eine Militärkapelle das ganze Regiment hat Haare aufm Kopf intonierte, oder Pauline steht im Hemd. Ob Ede wohl auch die Zooaktie aus den Trümmern des Hauses ausgegraben hatte?
    Der Obergefreite führte mich weiter. Von der Plattform Dora aus sahen wir hinüber bis zum Rathaus, dessen Turm noch stand, sahen die zerschossene Kuppel des Berliner Dorns, und ganz in der Ferne, an der Spree, das Kraftwerk Klingenberg. Nur ein einziger Schornstein blies noch Dampf ab.
    Auf der anderen Seite, als schwarzes Stahlskelett gegen den dunstigen Himmel, der Funkturm.
    »Durch die Maschen kann die Luft zu jut durch«, meinte der Obergefreite. »Den Lulatsch kriejen die Amis nich klein!«
    Wir gingen wieder hinunter, ins Labyrinth des Bunkers. »Maul halten«, flüsterte der Obergefreite. »Eigentlich darf niemand nach oben.« Ich bedankte mich bei ihm. Dann ging ich nach Stockwerk B, wo unser Regimentsstab residierte.
    »Karl Kaiser, Luftwaffenoberhelfer.« Der Kammerbulle fuhr mit beiden Händen in Karl Kaisers Klamotten umher, murmelte: »Ein Stahlhelm, eine Gasmaske, ein Verbandspäckchen, eine Hose zweite Garnitur, eine Jacke zweite Garnitur, Gehörschoner, zwei Hemden…« Neben ihm hakte ein Heimatkrieger die Liste ab.
    »Fehlen noch eine erste Garnitur, eine Mütze, ein Fliegerhemd blau, ein paar Socken, ein Paar Schnürschuhe, ein Hemd, eine Unterhose.«
    »Die habe ich an, Herr Wachtmeister!«
    »Sehe ich, sehe ich. Und nun?«
    »Herr Wachtmeister, meine letzten Zivilklamotten hatte ich, als ich zwölf war. Die passen nicht mehr.« Der Kammerbulle grinste. »Gut. Der Führer hat ein Einsehen. Die Kluft kannste erst mal behalten. Rückgabe nach dem Endsieg um sechzehn Uhr. Hier in diesem Theater.«
    Er knallte einen weiteren Stempel auf meinen Entlassungsschein. Schrieb dazu: »Darf erste Garnitur bis auf Weiteres tragen.«
    So ziemlich jeder Deutsche trug Uniform. Es wäre aufgefallen, hätte man keine getragen. Sogar in der Kolonie Tausendschön schmückten abenteuerliche Abarten die meisten Bewohner. Ernie Puvogel tarnte sich mit dem schlichten Kleid der Organisation Todt, jener Albert Speer unterstellten Truppe, die Atlantikwall und Flakbunker und auch die V 2-Basis Peenemünde gebaut hatte. Selbstverständlich bekleidete Ernie Puvogel einen Posten ganz in der Nähe und konnte abends einiges von dem Wirrwarr ins Lot bringen, den untertags die bekloppte Tochter Wanda im Laden anrichtete.
    Gallert, der alles aus seinem Versteck in der Laube beobachtete, gern auch höheren Ortes Meldung machte, Gallert fand es verdächtig, dass da Puvogel in der Kolonie umherdackelte, Uniform trug und doch augenscheinlich nicht dazu vorgesehen war, sich der bolschewistischen Dampfwalze entgegenzuwerfen.
    Oder, wie er es sah: den Endsieg schleunigst herbeizuführen.
    Die Leidenschaft für solche nationalen Aufgaben war mir spätestens in den Bereitschaftsbunkern der Großbatterie von Gaschendorf abhanden gekommen. Gallert wusste oder ahnte das, oder konnte es sich denken, schwierig war das nicht. Bald fand ich heraus, dass er heimlich herumfragte, was es mit mir auf sich habe. Aber schließlich sammelte ich meine

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