Mucksmäuschentot
Bademantel.« Dann kamen beide zu meinem Zimmer herüber.
Meine Tür strich über den dicken Teppich, und grelles Licht explodierte vor meinen Augen.
Obwohl sie beide in meinem Zimmer standen, bewegte ich mich nicht
(lieg still, mach kein Geräusch, bis die Gefahr vorbei ist)
. Ich lag so still und hilflos da, als hätte ich mir den Hals gebrochen.
Mum sagte meinen Namen, um mich zu wecken, aber ich konnte nicht antworten. Sie sagte ihn lauter, trat näher ans Bett. Dann endlich konnte ich sie sehen. Ihr blasses Gesicht war noch vom Schlaf verknittert, und ihr Haar stand wild vom Kopf ab, was ich normalerweise komisch gefunden hätte. Den Bademantel hatte sie hastig übergezogen und nicht zugebunden. Sie begriff, dass ich die ganze Zeit über wach gewesen war und genau gemerkt hatte, was los war.
»Shelley, Liebes, du brauchst keine Angst zu haben. Er will nur Geld. Wenn wir tun, was er sagt, lässt er uns in Ruhe und geht wieder.«
Ich glaubte ihr nicht. Ihre zitternden Hände und ihre Stimme verrieten mir, dass sie es selbst nicht glaubte. Wenn eine Katze ins Mauseloch eindringt, lässt sie die Mäuse nicht ungeschoren davonkommen. Ich wusste, wie die Geschichte enden würde. Er würde mich vergewaltigen. Er würde Mum vergewaltigen. Und dann würde er uns beide töten.
Mit ungeheurer Anstrengung schob ich schließlich mein linkes Bein an die kalte Bettkante. Damit durchbrach ich den jahrtausendealten Bann, konnte mich aufsetzen und nach meinem Bademantel greifen.
Der Einbrecher war jung, ein schmächtiger Kerl von höchstens zwanzig mit dünnem Wieselgesicht und langem schwarzem Haar, das ihm in die Augen fiel und in schmierigen Strähnen herunterhing. Er trug eine abgewetzte olivgrüne Bomberjacke und dreckverkrustete Jeans, die so tief auf den Hüften saßen, dass sie jeden Augenblick herunterrutschen konnten.
Ich roch den Alkoholdunst, der ihn wie ein unsichtbarer Nebel umgab. Er war offenkundig betrunken, aber noch
mehr als das
. Er stand wacklig auf den Füßen, und sein ungesund blasses Gesicht glänzte von Schweiß. Er konnte kaum die Augen offen halten. Seine Lider flatterten vor Anstrengung. Die Augen wirkten glasig und verdrehten sich nach oben, er schien einer Ohnmacht nahe, als plötzlich ein heftiger Ruck durch seine Schultern ging. Er schaute sich um, als wollte er sich daran erinnern, wo er war.
In der rechten Hand hatte er ein riesiges Messer – wie Jäger es benutzen, um Kaninchen auszuweiden.
Er stand oben an der Treppe und schwankte wie ein Matrose auf einem sturmgepeitschten Schiff.
(Würde er fallen? Bitte, Gott, mach, dass er die Treppe hinunterfällt und sich den Hals bricht!)
Aber das tat er nicht. Mit dem Messer bedeutete er Mum und mir, nach unten zu gehen.
Zitternd und erschreckt gehorchten wir.
Ich ging voran. Die Dielenbretter waren eiskalt unter meinen nackten Füßen. Unten konnte ich die Haustür erkennen. Draußen war es dunkel, dunkel und sicher, und es gab hundert Orte, an denen wir uns verstecken konnten. Würde ich es schaffen, wenn ich plötzlich losrannte? Die Kette war vorgelegt. Wenn ich erst daran herumfummeln musste … außerdem stand er mit seinem schrecklichen Messer genau hinter Mum.
Dann kam die letzte Stufe, und die Chance –
unsere letzte Chance?
– war dahin.
Er scheuchte uns ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. Mir war eiskalt, nachdem ich mein warmes Bett verlassen hatte, und ich zitterte am ganzen Körper. Mum schlang instinktiv die Arme um mich und rieb mich heftig, doch das Zittern wollte nicht aufhören. Dann wurde mir klar, dass es gar nicht die Kälte war. Ich zitterte vor Angst.
»Hierbleiben«, grunzte er. »Ihr rührt euch nicht, sonst gibt’s das hier!« Er holte mit dem Messer in Richtung Mum aus, und die gezackte Klinge sauste nur wenige Zentimeter an ihrem linken Auge vorbei.
Er schwankte ins Esszimmer, als hätte sich der Boden um fünfundvierzig Grad geneigt, und wirkte deutlich erleichtert, als er sich am Tisch abstützen konnte. Mum und ich standen eng umschlungen mitten im Wohnzimmer. Sie flüsterte wieder und wieder: »Alles wird gut, Shelley, alles wird gut.« Ich vergrub mein Gesicht an ihrem Hals und kniff die Augen zu.
Bitte,
betete ich,
lass es nur einen Albtraum sein, mach, dass es nicht wirklich passiert!
Ich konnte hören, wie er zusammenhanglos vor sich hin murmelte, während er die Schubladen im Sideboard und dem antiken Sekretär durchsuchte. Seine Suche wurde hektischer, und ich hörte, wie die
Weitere Kostenlose Bücher