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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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schwindelerregendem Tempo durch eine besonders beängstigende Kurve.
    Dann lachte er und wischte sich wieder mit dem Handrücken über den Mund. Er band Mums Handgelenke zusammen. »Ich muss euch fesseln. Dafür hab ich doch das Seil dabei.«
    Er kniete sich auf den Boden und fesselte ihre Beine, dann kroch er auf allen vieren zu mir. Wieder und wieder schlang er gedankenverloren das Seil um meine Knöchel. Ich betrachtete seinen fettigen Kopf und versuchte, nicht den widerlichen Gestank einzuatmen. Als er fertig war, hatte er fast das ganze Seil verbraucht. Dann riss er meine Handgelenke grob zu sich und fesselte sie mit dem zerfaserten Ende. Es reichte gerade für einen winzigen Knoten.
    »Na bitte, jetzt könnt ihr nirgendwohin!«
    Er stand langsam und schwer atmend auf, hielt sich den Bauch und verzog das Gesicht, als müsste er sich übergeben. Dann stieß er einen lauten, säuerlichen Rülpser hervor.
    »Sorry, Ladys«, sagte er. »Sorry, Madam. Sorry,
Madame
. Ich hätte die Eier nicht essen sollen. Die waren nicht mehr gut.«
    Langes Schweigen. Unerträglich langes Schweigen. Ich konnte ihn nicht sehen, spürte aber, dass er vor Mum stand. Ich versuchte, über die Schulter zu schauen, doch er befand sich im toten Winkel.
Er wird sie erstechen,
dachte ich.
Jetzt fängt das Töten an. Er wird sie töten, und dann wird er mich töten. Er interessiert sich nicht für unsere Sachen. Er ist gekommen, um uns zu töten. Er wird uns in unserem eigenen Wohnzimmer die Kehle durchschneiden. Dieses widerliche Schwein wird uns die Kehle durchschneiden.
    Ich zerrte an den Fesseln, aber sie waren zu fest angezogen und gaben nicht nach. Ich war machtlos. Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen und wartete.
    »Ich brauche eine Tasche«, sagte er. »Ich habe keine Tasche dabei.«
    »Unter – unter der Treppe sind welche«, schlug Mum zaghaft vor. Ich war erleichtert, ihre Stimme zu hören.
    »Das Seil hab ich mitgebracht, aber ich hab die Tasche vergessen«, sagte er wie ein kleiner Junge, der sich beim Lehrer entschuldigt, weil er seine Schulsachen nicht beisammen hat.
    »Unter der Treppe«, wiederholte Mum sanft. »Da steht eine Sporttasche. Die können Sie nehmen.«
    »Ich geh jetzt rauf. Ich hole das Geld und den Schmuck. Und wenn ihr irgendwas versucht, bring ich euch um. Ich bring euch
beide
um. Verstanden?«
    »Ja«, sagte Mum.
    »Verstanden?«, brüllte er.
    »Ja, wir haben verstanden«, wiederholte Mum so gehorsam wie möglich.
    Wieder herrschte langes, unbehagliches Schweigen.
    »Sie können die Sporttasche unter der Treppe holen«, sagte Mum. »Sie ist rot.«
    »Ich weiß, was ich brauche, Lady! Ich weiß, was ich brauche!«, rief er mit nörgelnder Stimme. »Du sagst mir nicht, was ich brauche!
Du
hast mir nicht zu sagen, was
ich
brauche!«
    Einen Moment lang schien er zu zögern, als wäre er versucht, den Funken des Zorns hell auflodern zu lassen, doch dann sprach er mit ruhiger Stimme weiter. »Ich weiß, was ich brauche, Lady. Ich weiß, was ich tue. Lasst das meine Sorge sein …«
    Dann war er verschwunden. Ich hörte ihn unter der Treppe rumoren, als er die Sporttasche holte, und dann stampften seine schweren, schlafwandlerischen Schritte die Treppe hinauf.
     
    »Mum?«, flüsterte ich. »Was machen wir jetzt?«
    »Ruhig bleiben, Shelley. Wenn wir in Panik geraten, stecken wir ihn damit an. Wir müssen ruhig bleiben.«
    »Aber er wird uns umbringen!«
    »Nein, wird er nicht. Er will nur Geld. Wenn er alles hat, was er kriegen kann, wird er gehen – das ist alles, wofür er sich interessiert.«
    Sie hatte unrecht. Ich war mir sicher, dass sie unrecht hatte, aber es hatte keinen Sinn, deswegen zu streiten. Wir waren beide gefesselt. Wir konnten nur abwarten. Im Zimmer über uns fiel etwas Schweres zu Boden. Kurz darauf hörten wir die Toilettenspülung.
    Da stand das Klavier, der Deckel noch aufgeklappt, die
Russischen Volkslieder
bei der »Zigeunerhochzeit« aufgeschlagen. Meine Flöte lag noch auf dem samtbezogenen Sitz des Klavierhockers. Kaum zu glauben, dass Mum und ich noch vor wenigen Stunden in diesem Zimmer ein Duett gespielt und wild gelacht und gekichert hatten, während ich mit dem frenetischen Tempo der Musik Schritt zu halten suchte. Jetzt saßen wir verschnürt und verängstigt hier und warteten ab, ob uns ein von Drogen benebelter Einbrecher töten oder am Leben lassen würde.
    Dann wurde mir klar, dass ich offiziell Geburtstag hatte.
Happy Birthday to me!
Wie viele Menschen waren wohl an

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