Mucksmäuschentot
beschloss sie, alles im Gemüsebeet zu vergraben, das wir in glücklicheren Zeiten selbst vergrößert hatten. Sie war auch mit dieser Lösung nicht ganz zufrieden, doch konnten wir die Beutel wenigstens aus dem Haus schaffen. Verglichen mit den anderen Plänen war dieser sehr viel weniger riskant. Natürlich wäre es eine Menge Arbeit. Wir müssten ein ganz schön großes Loch ausheben, um den Inhalt von acht Müllbeuteln verschwinden zu lassen, aber es war machbar.
Mum vermutete, dass einige unhandliche Gegenstände leichter zu vergraben wären, wenn man sie in kleinere Stücke zersägte. Also trugen wir eines Abends, nachdem sie von der Arbeit gekommen war, Wischmop, Eimer und Plastikschüssel zu einem der beiden Schuppen, den Mr Jenkins mit Neonröhren ausgestattet hatte. Dort bewahrte Mum ihre kleine Werkzeugsammlung auf. Wir zerlegten den Stiel des Mops in mehrere Stücke. Nach einer Stunde slapstickartiger Bemühungen, die Dick und Doof würdig gewesen wären, gelang es uns, den harten Plastikeimer in der Mitte durchzusägen. Danach sah sich keiner von uns mehr in der Lage, auch noch die Plastikschüssel in Angriff zu nehmen.
Als Mum das Handy aus der Tasche holte, bekam ich Herzrasen; es war im selben Beutel gewesen wie die Brieftasche. Doch dann verdrängte ich rasch meine Panik:
Sie hatte nicht in die Brieftasche hineingeschaut, sie konnte nicht wissen, dass der Führerschein fehlte.
Und so war es auch. Sie sah mich gar nicht an, als sie das Handy auf die Werkbank legte und im Werkzeugkasten den Hammer suchte. Sie machte sich Sorgen, dass die Polizei das Handy zurückverfolgen könnte, obwohl es ausgeschaltet war, und bestand darauf, es in Stücke zu schlagen, bevor wir es vergruben. »Sicher ist sicher.« Also legte sie das Handy auf den Betonboden, kniete sich daneben und schlug es mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, der zwischen zerstörerischer Lust und Ekel schwankte, zu Brei. Ich erinnerte mich an andere Schläge, die sie ausgeteilt hatte, und konzentrierte mich lieber auf die spinnwebenverhangenen Ecken des Schuppens.
Doch wir vergruben die Müllbeutel nicht im Gemüsebeet. Denn als Mum an dem Abend, den wir dafür vorgesehen hatten, von der Arbeit kam, unterbreitete sie mir einen völlig neuen Plan.
30
Mum hatte an jenem Tag mit einem Mandanten gesprochen, dessen zwölfjähriger Sohn bei der Aufnahme eines Klassenfotos verletzt worden war. Die aufgestapelten Bänke, auf denen er gestanden hatte, waren umgestürzt. Er war zwar nur etwas über einen Meter tief, dafür aber unglücklich gefallen und hatte einen schweren Bruch des linken Knöchels erlitten.
Als Mum in der Mittagspause die ärztlichen Berichte durchblätterte, erinnerte sie sich an einen anderen Fall, den sie bearbeitet hatte, gleich nachdem sie bei Everson’s angefangen hatte. Damals hatte sich ein zwölfjähriger Junge ebenfalls bei einem Sturz den linken Knöchel gebrochen, doch sie konnte sich einfach nicht mehr an den Namen oder die genauen Umstände des Unfalls erinnern. Sie wäre gern die alte Akte durchgegangen, um die Prognosen der Ärzte zu vergleichen und zu sehen, wie viel Schmerzensgeld der Junge erhalten hatte, doch sie wusste, dass die Akte schon vor Jahren vernichtet worden war.
Erst später, als sie im Besprechungszimmer Anweisungen eines neuen Mandanten entgegennahm, fiel es ihr plötzlich wieder ein. Pugh. Thomas Pugh. Ein lächelnder, molliger Junge mit blondem Pony. Er hatte mit seiner Familie im Morsely-Nationalpark gezeltet. Eines Morgens war er mit seinem jüngeren Bruder auf Erkundungstour gegangen, während die Eltern noch schliefen. Im Wald waren sie auf hölzerne Gebilde gestoßen, die sie für einen Hindernis-Parcours hielten, und waren darauf zugelaufen. Dann war Thomas plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Zuerst glaubte sein kleiner Bruder, er sei von Außerirdischen mit Todesstrahlen weggezaubert worden. In Wirklichkeit war Thomas in einen der Schächte einer verlassenen Kupfermine gestürzt, die die Berge des Nationalparks wie eine Bienenwabe durchzogen. Die hölzernen Gebilde waren alles, was von der alten Zechenanlage übrig geblieben war.
Da kam Mum eine Idee: Die verlassenen Minen waren der ideale Ort, um die belastenden Beweise aus unserem Gästezimmer loszuwerden.
Unter einem Vorwand stahl sie sich aus dem Büro und ging zum Stadtarchiv, das tief im Keller des prachtvollen Rathauses verborgen lag. Dort erbat sie Kopien aller Pläne der alten Kupferminen im Morsely-Nationalpark.
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