Mucksmäuschentot
Menschenliebe« ist, zu einem »Bluthund« und »Tyrannen«. Wie?)
. Obwohl ich fast eine ganze Kanne Kaffee getrunken hatte, schaffte ich nur eine Seite in einer Stunde, und selbst die war nicht besonders gut. Meine Gedanken wanderten ständig von meiner eselsohrigen Taschenbuchausgabe zu Mum. Wo war sie? Was machte sie gerade? Ich betete, dass alles gut laufen möge. Ich betete, dass sie sicher zurückkehrte.
Schließlich schob ich den Aufsatz beiseite (ich hatte ohnehin nur Müll geschrieben – »Zu Anfang des Stücks ist Macbeth ein guter Mensch …«) und kritzelte auf einem Blatt vor mich hin. Ohne weiter nachzudenken, zeichnete ich den Escort, der über gewundene Straßen inmitten von Kiefernwäldern durch die Berge fuhr. Die Scheinwerfer sandten zwei längliche Lichtzungen in die Dunkelheit. Von oben erklang ein seltsames Stöhnen. Ich hielt inne und schaute hoch. Mir fiel der Albtraum ein, in dem Paul Hannigans entstelltes Gesicht plötzlich am Fenster erschienen war. Rasch ging ich ins Wohnzimmer und schloss die Vorhänge, bis ich mir ganz sicher war, dass auch nicht der kleinste Spalt geblieben war.
Ich schenkte mir ein Glas Wein ein (wir hatten jetzt immer Wein im Haus) und setzte mich aufs Sofa, um zu lesen, doch das Haus war voller seltsamer Geräusche. Die Dielenbretter über mir knarzten arthritisch, als schliche jemand durchs Gästezimmer. Dann und wann hörte ich ein Rascheln vor dem Wohnzimmerfenster. Es konnten Schritte sein oder auch nur der Wind, der trockene Zweige über den Kies wehte.
Es war fast elf, aber ich traute mich nicht, ins Bett zu gehen. Ich redete mir ein, ich müsste auf Mum warten, und schaltete den Fernseher ein, um die Geräusche zu übertönen. Als mir klarwurde, dass ich zum ersten Mal seit der Nacht, in der wir Paul Hannigan getötet hatten, abends allein war, legten sich kalte Finger um meinen Hals. Kein Wunder, dass ich mehr Angst als gewöhnlich hatte.
Warum hatte Mum mich nicht mitgenommen?
Ich rollte mich auf dem Sofa ein und trank Wein, wobei ich versuchte, die quälenden Gedanken zu verdrängen
(er könnte draußen sein – auferstanden aus seinem flachen Grab, kurz davor, mit seinen fauligen Fäusten an die Tür zu hämmern … oder, schlimmer noch, er könnte bereits im Haus sein …).
Ich zappte durch die Fernsehkanäle, fand aber nichts Interessantes – Berühmtheiten auf einer verlassenen Insel; ein Wettbewerb, bei dem der stärkste Mann der Welt gesucht wurde; eine Krankenhaus-Sitcom, in der jede Bemerkung und Geste der Schauspieler von Gelächter aus der Konserve begleitet wurde.
Da ich nichts anderes fand, schaute ich mir eine Sendung über einen Eingeborenenstamm in Afrika an (es kann auch am Amazonas gewesen sein). Das Dorf lag an einem Fluss, dessen Ufer mit gelblich-braunem Schlamm bedeckt waren und in dem die Kinder so fröhlich planschten, als wäre es das gechlorte Wasser eines englischen Schwimmbads. Der Dokumentarfilm zeigte, wie die Männer mit selbstgemachten Bogen und Pfeilen Wildschweine jagten und ihre Körper mit Hilfe eines Werkzeugs schmückten, das in die Haut schnitt und die entstehende Furche gleichzeitig mit Farbe füllte. Normalerweise hätte ich umgeschaltet, als sie sich anschickten, eine Ziege zu opfern, weil ich Grausamkeit gegenüber Tieren verabscheute (als kleines Mädchen wurde ich hysterisch, wann immer ein Stierkampf oder eine Fuchsjagd im Fernsehen gezeigt wurde), doch an diesem Abend machte es mir nicht so viel aus wie sonst.
Es ist ja nur ein Tier,
dachte ich, als sich ein Eingeborener auf die Brust der Ziege kniete und ihr lässig die Kehle durchschnitt.
Es ist nur eine dumme Ziege.
Ihr Intelligenzgrad war so niedrig, dass sie gar nicht merkte, was mit ihr geschah. Sie konnte nicht begreifen, was Grausamkeit oder Tod war – oder auch das Leben. Man konnte nur Mitgefühl mit dem Opfer empfinden, wenn echte Intelligenz vorhanden war …
Ich döste kurz ein. Als ich wieder die Augen öffnete, sprach einer der Stammesältesten über seine religiösen Ansichten. Seine Worte wurden als Untertitel gezeigt, weiß vor einem blassen Hintergrund und daher schwer zu erkennen. Er erklärte, der Stamm lebe mit den Tieren des Waldes zusammen und kenne ihre unterschiedlichen Charaktere sehr genau.
Sie respektierten bestimmte Tiere wegen ihrer guten Eigenschaften; andere verabscheuten sie wegen ihrer schlechten Eigenschaften. Eine ihrer grundlegenden religiösen Überzeugungen bestehe darin, dass ein Mann die
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