Mucksmäuschentot
heimsuchte, so als hätte mein Gehirn das ganze Grauen auf ein perfektes Drehbuch reduziert, an dem nicht mehr das winzigste Detail geändert werden musste.
Es fing immer damit an, dass Mum und ich an einem idyllischen Sommertag im Vorgarten Krocket spielten. Ich war etwa acht Jahre alt und trug mein blau-weiß gestreiftes Lieblingskleid (Mum hatte mir erzählt, dass ich zeitweise gar nichts anderes tragen wollte). Auch Mum sah anders aus – als wäre sie dem gerahmten Hochzeitsfoto entstiegen, das im
ehelichen Heim
auf dem Kaminsims gestanden hatte. Sie trug ein fließendes weißes Hochzeitskleid, war jung und hatte ein frisches Gesicht – die grauen Strähnen und die Krähenfüße um die Augen waren noch fern.
Mum traf meinen Ball, der durchs kurze Gras davonschoss. Ich lief hinterher und rief über die Schulter, sie spiele wirklich gut – besser als je zuvor. Der Krocketball rollte weiter und weiter und blieb im ovalen Rosenbeet liegen. Ich blieb stehen. Mein Lächeln erstarb. Ich wollte nicht näher herangehen. Ich wusste, dass der Einbrecher dort begraben lag. Ich drehte mich um, hielt Ausschau nach Mum und hoffte, sie würde sagen, ich könnte ihn dort liegen lassen, aber sie war plötzlich ganz weit weg, am Ende eines unermesslichen Gartens. Ich rief sie, wusste aber, dass sie mich nicht hören konnte. Also entschloss ich mich, rasch nach dem Ball zu greifen und so schnell wie möglich wegzulaufen. Doch als ich zu dem ovalem Rosenbeet hinschaute, ragte die grünliche, verwesende Hand des Einbrechers durch die Erde und berührte beinahe den Ball.
Ich wusste, ich musste die Hand verbergen, sonst würde jemand sie entdecken und die Polizei rufen. Dann wären wir verloren. Ich war jetzt so alt, wie ich wirklich war, und trug meinen Bademantel und das Nachthemd. Ich zog den Bademantel aus und warf ihn über die Hand. Natürlich war das nur eine vorübergehende Lösung, aber es würde reichen, bis ich Mum Bescheid gesagt hatte. Ich kniete mich ins Gras und griff nach dem Ball, doch sowie ich ihn berührte, schoss die andere Hand des Einbrechers aus der Erde und griff nach meinem Handgelenk.
Er war ungeheuer stark. Er zog mich hinunter in den Dreck, bis mein Gesicht genau über seinem war und ich den widerlichen Leichenatem riechen konnte.
»Ich habe versucht, dich anzurufen«, sagte er, »aber du bist nicht rangegangen.« Ein plötzlicher Schnitt beförderte uns beide ins Grab. Paul Hannigan lag auf mir, die Hände an meiner Kehle – Hände, die sich bisweilen in Schlangen oder Baumwurzeln verwandelten, mit der absurden Logik von Träumen aber gleichzeitig Hände blieben. Der Himmel über mir sah genauso aus wie in der Nacht, in der wir den Wagen weggebracht hatten: Die schmutzigen Fingerabdrücke der Wolken verdeckten die Sterne, und der Mond war nur eine dünne silberne Sichel in der Schwärze. Ich kämpfte verzweifelt, doch er drückte mich mühelos nieder.
»
Diesmal
mache ich es richtig«, höhnte er und würgte mich fester. Ich konnte nicht atmen. Ich verlor allmählich das Bewusstsein. Dann unternahm ich eine letzte wahnsinnige Anstrengung, um mich zu befreien, doch es war sinnlos. Die groteske Halloween-Maske über mir grinste triumphierend. Dann sah ich Mum hinter seiner linken Schulter auftauchen, das Schneidbrett in der Hand. Sie war nicht mehr jung; ihr Gesicht war jetzt übertrieben hager, und statt des weißen Hochzeitskleides trug sie ihren blutgetränkten Bademantel. Ich wusste, was sie vorhatte. Ich wollte sie zwingen, es zu tun:
Schlag ihn! Schlag ihn!
Doch statt wie erwartet das Schneidbrett hoch über den Kopf zu heben, nahm sie es weg und sagte wieder und wieder
Ich will nicht ins Gefängnis
. Dann war sie verschwunden …
Aus diesem Traum wachte ich immer schweißgebadet auf, und mein Herz hämmerte so heftig in meiner Brust, dass ich kaum atmen konnte. Die Steppdecke hatte ich zu einem Knäuel am Fußende gestrampelt, und der leere Bezug war um meinen Körper gewickelt.
29
Wir hatten die Waffe und alles andere, das wir aus Paul Hannigans Auto geholt hatten, ebenfalls in Müllbeutel verpackt und im Gästezimmer gelagert. Wäre die Polizei ins Haus gekommen, hätte sie den gesamten Fall fein säuberlich in der Ecke des Zimmers aufgestapelt vorgefunden. Sie hätte die Beweisstücke nur noch für den Prozess beschriften müssen. Trotzdem dauerte es sechs Tage, bis wir sie endlich loswurden.
Das lag nicht etwa daran, dass Mum die Gefahr unterschätzt hätte – ganz im
Weitere Kostenlose Bücher