Mucksmäuschentot
Gegenteil. Sie wusste nur zu gut, dass die Beweisstücke
für immer
verschwinden mussten. Daher hatte sie Angst, diesen wichtigsten Schachzug in unserem tödlichen Spiel mit der Polizei zu vermasseln. Sollte die Polizei jemals die Müllbeutel finden, würde dies zu fieberhaften Nachforschungen führen. Sie würden uns jagen wie eine Meute Hunde, die die Witterung ihrer Beute aufgenommen haben. Die Müllbeutel mit ihren zahllosen Beweisstücken würden sie über kurz oder lang zu unserem Haus und der Leiche führen, die im Rosenbeet begraben lag. Während Mum sich über dieses Problem den Kopf zerbrach, faulten die Müllbeutel im Gästezimmer vor sich hin, und der Blutgeruch wurde jeden Tag stärker.
Zuerst hatte Mum die Idee, sie in verschiedene öffentliche Mülleimer zu werfen – kilometerweit entfernt von Honeysuckle Cottage. Auf diese Weise würde es der Polizei schwerfallen, die acht Beutel miteinander oder mit uns in Verbindung zu bringen.
Doch nachdem sie darüber nachgedacht hatte, befand sie den Plan für zu riskant. Er schien zu öffentlich. Jemand könnte sehen, wie sie einen Müllbeutel wegwarf, und der Polizei eine Personenbeschreibung liefern. Und selbst wenn es keine Augenzeugen gäbe, würde sie womöglich auf einer Überwachungskamera erscheinen, wie sie heutzutage überall installiert waren. Und sollte diese keine Aufnahme ihres Gesichts liefern, könnte man womöglich das Nummernschild ihres Autos entziffern. Dann wäre es für die Polizei ein Leichtes, sie aufzuspüren.
Außerdem wusste keiner von uns, was mit dem Müll geschah, nachdem er abgeholt worden war. Darüber hatten wir uns noch nie Gedanken machen müssen. Möglicherweise wurde er gepresst und vergraben oder auf dem Meer entsorgt, doch Mum quälte sich mit der Vorstellung, dass die Beutel auf einer öffentlichen Müllkippe enden würden, wo sie möglicherweise monatelang sichtbar herumlagen. Es reichte, dass ein einziger Beutel aufplatzte und ein Arbeiter die blutigen Klamotten darin entdeckte. Blutige Klamotten voller unsichtbarer DNA -Spuren. Die Polizei könnte alles zu uns zurückverfolgen.
Ich schlug vor, die Beutel im Garten zu verbrennen. Die blutigen Nachthemden, die Bademäntel, die Küchenvorhänge und der Trenchcoat würden zu einem unschuldigen Haufen Asche zerfallen. Mum aber hielt nichts davon. Es gebe zu viele Dinge, die nicht verbrennen würden – Gummistiefel, Handy, Werkzeuge und natürlich die grässliche Waffe. Damit wäre nur das halbe Problem gelöst. Außerdem sagte sie, sie habe noch nie ein so großes Feuer entzündet – das sei Männersache – und fürchte, es könne außer Kontrolle geraten. Wenn wir die Feuerwehr rufen müssten, käme alles heraus. Und selbst wenn das Feuer nicht außer Kontrolle geriet, könne der Bauer von nebenan den Rauch entdecken und nachschauen. Er würde Fragen stellen, sich einmischen und zeigen wollen, wie man es richtig machte …
Ein weiterer Vorschlag bestand darin, alles in den großen Metallkoffer zu packen, der auf dem Dachboden stand, ihn mit Gewichten zu beschweren und in dem riesigen Wasserspeicher im Morsely-Nationalpark zu versenken, der etwa hundertdreißig Kilometer nördlich von hier gelegen war. Zu meiner Überraschung konnte sich Mum auch dafür nicht begeistern. Ich sagte, wenn sie damit nicht zufrieden sei, könnten wir immer noch an die Küste fahren und den Koffer ins Meer werfen. »Darum geht es nicht. Ich traue dem Wasser einfach nicht. Irgendwann gibt es seine Geheimnisse preis.«
Mum sagte es mit solcher Überzeugung, dass ich schon glaubte, sie spreche aus eigener Erfahrung. Dann fiel mir ein, dass sie sich eines Abends, als sie nicht einschlafen konnte,
Rebecca
von mir geliehen hatte. Vermutlich bezog sie sich auf das, was sie darin gelesen hatte. Ist das der Einfluss unserer Mittelklasse-Kultur? Werden Menschen eher von Büchern als von ihrem eigenen Leben geformt? Doch vielleicht hatte sich für Mum einfach alles geändert, als Paul Hannigan ihre Schlafzimmertür aufgestoßen hatte. Vielleicht hatte unser wirkliches Leben erst begonnen, nachdem das Schneidbrett herabgesaust war.
Mum spielte mit der Idee, Säure zu verwenden, doch genau wie bei dem Feuer würde man nur die Hälfte der Sachen entsorgen können. Selbst die stärkste Säure würde kaum die Metallwerkzeuge oder das Marmorbrett zersetzen. Außerdem war es überaus gefährlich, und wir würden schon Verdacht erregen, wenn wir uns Schutzhandschuhe und Kittel kauften.
Schließlich
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