Mueller, Carin
aus in der Welt. Das wird Adrian sicher sehr fehlen …«
»Ach, das glaube ich nicht«, erwiderte sie mit einem betont süßen Lächeln, »dein Sohn hat jetzt ein so ausgefülltes Sexleben, dass er gar keine Zeit hat, sich über einen Mangel an intellektueller Erfüllung zu beklagen!« Antonella hatte selten jemand so Verklemmten kennengelernt wie Brigitte Stern, die vermutlich immer noch an den Klapperstorch glaubte. Jedenfalls hatte ihre Antwort die gewünschte Wirkung: schmallippiges Schweigen, um weitere erotische Ausführungen zu vermeiden.
»Wann kommt Adrian eigentlich?«, fragte Ludwig.
Antonella sah auf die Uhr, es war kurz vor vier. »Er müsste gleich nach Hause kommen!«
Drei Stunden später war das Schlimmste überstanden. Als Elisa irgendwann so überdreht und übermüdet war, dass sie brüllte wie am Spieß und die Nachbarskinder, die ebenfalls zu Besuch waren, aus Solidarität einstimmten, hatten Adrians Eltern gegen halb sechs fluchtartig das Weite gesucht. »Bei Gisela wäre so etwas nie …« Das Baby hatte sich erst beruhigt, als Adrian es neben Mops Hugo auf die Couch gelegt hatte. Der Hund hatte dem Kind die Tränen abgeleckt und sich dann eng rangekuschelt. Augenblicke später war Elisa eingeschlafen. Daran wiederum hatte sich Übermutti Förster aus dem zweiten Stock gestört: »Was da alles passieren kann. Ich finde das wirklich unverantwortlich von euch!«, hatte sie sich empört.
»Hugo wird regelmäßig entwurmt, da kann also gar nichts passieren«, verteidigte Antonella ihren Hund. »Und er ist der perfekte Schutzengel für Sternchen. Die beiden lieben sich, und wenn sie zusammen sind, sind beide friedlich.«
»Ja, aber Elisa lernt so gar nicht, dass Hunde gefährliche Tiere sind!«
»Und warum sollte sie das, Franziska?«, fragte nun Adrian leicht stirnrunzelnd.
»Na ja, zum Beispiel wegen diesem Riesenhund im ersten Stock. Das Tier ist überhaupt nicht erzogen, und diese Katia …«
Ach, daher wehte also der Wind, dachte sich Antonella. Seit Katia eingezogen war, hatte Franziska noch mehr zu nörgeln gehabt: Wie kann man eine Fünfzimmerwohnung einer alleinstehenden Frau überlassen, statt einer netten Familie mit ein paar Kindern? Und dann auch noch dieser schreckliche Hund, der es wagte, ihrem edlen Fee-Finn-Nachwuchs »aufzulauern« und die Bälle zu klauen. Und Katia selbst sei ja wohl auch irgendwie merkwürdig. Gut, im letzten Punkt musste Antonella ihrer Nachbarin fast beipflichten. Katia war schon sehr speziell, und sie war froh, dass sie sie in den letzten paar Tagen deutlich seltener zu Gesicht bekommen hatte. Was auch immer Giovanni getan haben mochte – er hatte seiner Schwester nichts erzählt –, es erweckte fast den Anschein, als würde Katia langsam ein neues Leben beginnen. Sie hatte beispielsweise angefangen, Lebensmittel und fehlende Dinge für die Wohnung zu kaufen. Antonella hoffte auch, dass sie sich Gedanken über einen Job machte, denn dauerhaft mietfrei wollte sie ihr die Wohnung dann doch nicht überlassen.
Wie aufs Stichwort waren dann Katia und Olga erschienen, was wiederum Familie Förster zum überhasteten Abschied gebracht hatte. Denn Olga, die heute ihren überfälligen Friseurbesuch hinter sich hatte, war fröhlich in die Wohnung getrabt und hatte alle Anwesenden begeistert begrüßt. Antonella staunte, was für eine Verwandlung die Hündin durchgemacht hatte. Bis gestern hatte sie noch ausgesehen wie ein wolliges, überdimensioniertes Kuscheltier, jetzt wirkte sie mit ihrem kurzen schwarzbraunen Fell wie ein scheues Reh. Scheu war allerdings nur die Optik. Aus ihren schwarz umrandeten Knopfaugen blickte sie unternehmungslustig in die Runde und klaute sich dann den rosa Rüschen-Alptraum. Nachdem sich Elisa nämlich in Rekordzeit das neue Outfit eingesaut hatte, hatte sie wieder ihr Elefantenkleid anziehen dürfen. Katia rannte hinter ihrem Hund her in die Küche und versuchte, ihm das Kleid wegzunehmen, aber Olga bewies überragende Stilsicherheit und zerfetzte das pastellige Großeltern-Geschenk im null Komma nichts.
»Das tut mir so leid«, Katia klang wirklich zerknirscht. »Ich kaufe ihr ein neues.«
»Bloß nicht!« Antonella grinste und warf die Überreste weg. »Olga hat uns allen einen riesigen Gefallen getan.« Sie kraulte das Tier hinter den Ohren und schob ihm einen Hundekeks ins Maul.
»Wo ist denn das Geburtstagskind?«, wollte Katia wissen. »Ich habe auch ein Geschenk für sie.« Sie zog ein knallbuntes Päckchen hervor
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