Mueller, Carin
Unverschämtheit, wenn sie so darüber nachdachte! –, kündigte er eine Planänderung für den Abend an. Eigentlich habe er ja vorgehabt, mit ihr ins Kino oder zum Essen zu gehen, aber angesichts der Umstände sei wohl eher eine kleine Nachhilfestunde in Haushaltsführung angebracht. Und da stand nun dieser riesige, gutaussehende Mann und fing an, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, den herumfliegenden Unrat in große Mülltüten zu stopfen und schließlich mit spitzen Fingern ihre Schmutzwäsche zu sortieren und einen Haufen nach dem anderen in die Waschmaschine zu packen. Dabei hatte er ihr mit ungerührter Miene erklärt, wie die Geräte funktionierten und welches Mittelchen man für welche Wäsche brauchte. Nach einem Blick in ihren Kühlschrank war er verschwunden und nach kurzer Zeit mit einer großen Tüte Thai-Take-Away wiedergekommen. Während des Essens hatte er ihr dann ins Gewissen geredet.
»Dieser anmaßende Kerl!«, schrie sie wütend, und Olga zuckte erschrocken zusammen. Dann rappelte sie sich wieder auf, schnappte sich den Lappen, der vorhin in der Ecke gelandet war, und putzte weiter ihr Bad. Denn sie hatte sich tatsächlich von Giovanni das Versprechen abringen lassen, heute gründlich sauber zu machen und ihre – wenigen! – Besitztümer durchzugehen. »Wofür brauchst du bitte drei Pelzmäntel?«, hatte er gefragt. »Verkauf diese Mottenfiffis, dann bist du wenigstens wieder ein bisschen flüssig!« Er hatte ja Recht. Er hatte in allem Recht, aber trotzdem kam sie sich gerade wie ein dummes Schulmädchen vor. Und außerdem hatte sie heute Vormittag dieser halbseidene griechische Pelzhändler im Bahnhofsviertel ordentlich übers Ohr gehauen. Vor zwei Jahren hatte Aris ihr bei ihm ein Nerzjäckchen gekauft – kein besonders gut gemachtes, wie sie fand, aber Achilles war »ein guter alter Bekannter« von ihrem Mann gewesen, und offenbar hatte sich Aris damals bemüßigt gefühlt, ihm eine »Kleinigkeit« abzukaufen. Jedenfalls war sie heute Morgen zu ihm gegangen und hatte ihm ihren opulenten Zobelmantel angeboten. Der hatte vor drei Jahren in Paris gute dreißigtausend Euro gekostet. Achilles war jedoch der Meinung, dass »Zobel zurzeit nicht liefe«, und überhaupt »sei ja jetzt Mitte März und die Pelzsaison ohnehin vorbei«. Aber um seinem »lieben alten Freund Aris« posthum noch einen Gefallen zu tun, hatte er ihr fünftausend Euro dafür gegeben. Natürlich war sie darauf eingegangen, schließlich brauchte sie dringend Geld, und wieder etwas liquide zu sein war tatsächlich ein gutes Gefühl. Sie brauchte so viele Sachen – ihre ganzen Pflegeprodukte gingen bedrohlich zur Neige, und Olga musste dringend zum Friseur. Allerdings war ihre erste Investition ein beachtliches Sortiment an Putzmitteln und Zubehör gewesen. Genervt stöhnte sie auf und sah auf die Uhr. Es war schon fast vier, aber wie auch immer, sie hatte eine Vereinbarung! Heute Abend wollte Giovanni wiederkommen und die Wohnung inspizieren. Und wenn alles blitzte, würde er sie zur Belohnung schick zum Essen ausführen. Katia machte sich also wieder ans Werk. Allerdings nicht, ohne sich zu fragen, was genau »schick essen gehen« in den Maßstäben eines unverschämten italienischen Schreiners bedeutete …
Als Giovanni sich um kurz nach sieben an diesem Abend von seiner Wohnung aus auf den Weg machte, um wieder bei Katia vorbeizuschauen, war er immer noch unschlüssig, was er mit ihr anfangen sollte. Er war sich keineswegs sicher, ob sie sich überhaupt auf ihre Abmachung eingelassen hatte. Mindestens ebenso wahrscheinlich war, dass sich rein gar nichts geändert haben würde. Der Anblick ihrer Wohnung gestern hatte ihn ganz schön geschockt. Sich so gehen zu lassen … Dafür gab es in seinen Augen nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder war sie mittlerweile eine unheilbar verzogene Person – oder sie steckte in einer tieferen Krise, als er es sich vorstellen konnte. Im letzteren Fall gab es wenigstens Hoffnung auf Besserung. Denn soweit er sich zurückerinnerte, war sie nämlich früher ganz anders gewesen: bodenständig, hilfsbereit, herzlich – und ziemlich niedlich. Sie und Antonella waren seit dem Krabbelalter eng befreundet gewesen, und so hatten seine Große-Bruder-Pflichten zwangsläufig auch Kathi mit einbezogen. Er erinnerte sich noch, wie er mit den beiden Barbie spielen oder sie ins Freibad begleiten musste. Offiziell hatte er es natürlich gehasst, schließlich war es nicht gerade cool, mit
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