Mueller, Carin
sieben Jahre jüngeren Kindern rumzuhängen. Insgeheim hatte er es jedoch schon genossen, von zwei Mädchen angebetet zu werden. Speziell Kathi, die ein Einzelkind war, hatte ihm immer das Gefühl gegeben, dass er der tollste Kerl auf weiter Flur war. Schade, dass sich das nicht konserviert hat, dachte er. Gestern hatte sie ihn aus ihren ausdrucksvollen Bernsteinaugen angestarrt, als käme er von einem anderen Stern – oder hätte eine entstellende Krankheit. Nun ja, offensichtlich war viel Zeit vergangen, und in all den Jahren viel passiert. Er war Anfang zwanzig gewesen, als Katia urplötzlich aus seinem Leben verschwunden war. Die Freundinnen hatten sich wohl wegen irgendeines Typen überworfen. Just zu einem Zeitpunkt, als er sie nicht mehr nur als nervige Ersatz-Schwester wahrgenommen hatte, sondern als bildhübschen Teenager. Das spindeldürre, kleine rothaarige Mädchen hatte einen derart bemerkenswerten Entwicklungsschub gemacht, dass seine Hormone ordentlich in Wallung gekommen waren. Doch ehe er sich dem Problem »Kann ich die beste Freundin meiner kleinen Schwester verführen?« ernsthaft widmen konnte, hatte Katia beschlossen, ihre Beziehung zur gesamten Familie De Anna für beendet zu erklären. Wie das Leben so spielte … Giovanni grinste vor sich hin. Kaum zwanzig Jahre später, und er hatte mal wieder den Babysitterjob für Kathi Fuchs übernommen.
Inzwischen war er in der Weberstraße angekommen. Er hatte lange darüber nachgedacht, wohin er mit ihr zum Essen gehen könnte. Seit zwei Jahren lebte er jetzt in Frankfurt und kannte sich inzwischen ziemlich gut aus. Die einschlägigen Luxusschuppen und intimen Restaurants hatte er jedoch gleich wieder von der geistigen Liste gestrichen. Weder wollte er sich an ihren alten Lebensstil anbiedern noch ein Date implizieren. Schließlich hatte er sich für seine Lieblingssportbar entschieden. Dort gab es sensationelle Burger, und außerdem würde das Champions-League-Spiel übertragen werden. Und es war ganz sicher keine Örtlichkeit, mit der sie rechnen würde! Aber erst einmal musste sich zeigen, ob sie überhaupt ihren Teil der Abmachung eingehalten hatte. Schmunzelnd drückte er den Klingelknopf.
Zwei Wochen später konnte Antonella ihre Nerven nur noch schwer im Zaum halten: »Er müsste gleich nach Hause kommen!« Das jedenfalls hoffte sie inständig. Es war Elisas erster Geburtstag, und Adrians Eltern waren gekommen, um mit ihrer Enkelin zu feiern. Eigentlich hatten sie ja am Wochenende eine kleine Party veranstalten wollen, aber da hatten Ludwig und Brigitte Stern keine Zeit. Deshalb waren die Großeltern und alle weiteren Gäste bereits heute für vier Uhr zum Kaffeetrinken eingeladen. Antonella hatte ihre Tochter schon um kurz nach zwei aus der Krippe geholt, damit die Kleine noch ein bisschen schlafen und sie selbst alles vorbereiten konnte. Kaum waren sie jedoch nach Hause gekommen, läutete es, und Adrians Eltern standen vor der Tür. »Wir wollten ein bisschen Zeit mit Elisa alleine verbringen, ehe die anderen Gäste kommen.« Super! Antonella war begeistert. Ihr Verhältnis zu den Schwiegereltern war ohnehin nicht gerade spannungsarm, denn speziell Brigitte ließ keine Gelegenheit aus, der verflossenen Gisela nachzutrauern. Adrians Exfrau war Wirtschaftsanwältin und hatte eine fabelhafte Karriere gemacht. Dabei hatte sie allerdings keine Zeit für ihren Ehemann oder gar Familie gehabt. Ein Punkt, der Adrian irgendwann gestört hatte, seine Eltern offenbar nicht. Antonella hatte sich, während sie den Geburtstagskuchen verzierte und den Kaffeetisch deckte, unter anderem schon anhören dürfen, dass Gisela »immer top organisiert« war und nicht erst in buchstäblich letzter Sekunde mit der »Vorbereitung gesellschaftlicher Anlässe« angefangen hätte. Sie sei auch immer so elegant gewesen und nicht so »extravagant«. Den wenig dezenten Hinweis, dass ihr Outfit – Jeansminirock und knallroter Kurzarmrolli – nicht den Ansprüchen genügte, konnte sie noch ebenso lächelnd tolerieren wie die Bitte, Elisa doch das mitgebrachte Kleidchen – eine Scheußlichkeit in Babyrosa – anzuziehen. Schulterzuckend zog Antonella der Kleinen das lustige orange Trägerkleid mit den grünen Elefanten aus und streifte ihr den Rüschenalptraum über. Doch auch ihre Geduld hatte Grenzen, und die war spätestens beim gefühlten achtzigsten Gisela-Lob ihrer Schwiegermutter erreicht. »Mit Gisela konnte man immer so tolle Gespräche führen, die kannte sich
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