Mueller hoch Drei
etwas zurechtgelegt, aber zu hören war nur ein seltsam ersticktes Bellen.
Es kam natürlich nicht aus ihrem Mund, sondern aus Pablos Schnauze. Der Hund lag in der Mitte des Abteils auf dem Boden, röchelte und blaffte und spuckte dazu in kleinen Abständen dem Schaffner verschiedene Dinge vor die Füße. Ich erkannte unter anderem: ein halbes Grillwürstchen, einen Schlüsselanhänger mit dem Berliner Bär, ein paar Zigarettenkippen, zwei Kronenkorken und etwas Kleingeld.
»Iiiih!«, schrie der Schaffner. »Bringt sofort dieses kotzende Mistvieh aus meinem Zug!«
Pauline saß wie versteinert, auch Paula schien einen Moment lang verdattert, doch dann sagte sie sehr lässig: »Seht ihr, das haben wir jetzt davon. Wir hätten dem armen Mann nicht seinen Hund abkaufen sollen.«
»Welchem armen Mann?« Der Schaffner trat einen Schritt zurück.
»Na, dem unter der Brücke.« Paula zog eine Schnute. »Der so hustete und so schreckliche Pickel im Gesicht hatte und uns immer so komische Geschichten erzählen wollte.«
»Was für Geschichten?« Der Schaffner trat noch einen Schritt zurück.
Jetzt hatte sich auch Pauline wieder gefasst. Und daran, wie schnell sie begriff, was hier vorging, hätte auch der Dümmste erkennen können, dass sie die Schwester meiner Schwester war. Sie riss die Augen auf. »Schreckliche Geschichten. Irgendwas mit Soldaten mitten im Urwald und Leuten, die plötzlich tot umfallen.« Sie hielt sich die Ohren zu und schüttelte sehr schulmädchenhaft den Kopf. »Da haben wir gar nicht zuhören wollen.«
»Gerechter Himmel!« Der Schaffner machte einen Satz rückwärts aus dem Abteil. »Der Hund hat die Legionärskrankheit. Ab sofort steht dieses Abteil unter Quarantäne. Niemand darf es verlassen oder betreten!« Und damit zog er von außen die Tür zu und schloss sie ab.
Wir sahen zuerst uns an, dann den Hund. Der saß schon wieder ganz munter auf seinem Hintern und kratzte sich hingebungsvoll sein linkes Ohr. »Ich glaube allmählich«, sagte Pauline, »der ist nicht so harmlos, wie er aussieht.«
»Tja«, sagte Paula. »Genau wie wir. Die unglaublichen Müller-Drillinge. Verlassen, verkauft und flüchtig, dafür aber unberechenbar.« Wir mussten sehr lachen, über den Hund natürlich, und noch mehr über uns.
»Ich bestelle jetzt was zu essen«, sagte Paula endlich. Sie hämmerte mit der Faust gegen die Abteiltür und schrie Zeter und Mordio. Es ließ sich allerdings niemand blicken. Erst als der Zug das nächste Mal hielt, erschien ein vermutlich menschliches Wesen in einer Art Raumanzug aus Plastiktüten und drückte uns einen Zettel an die Glaswand des Abteils. Darauf stand, man komme von der Seuchenpolizei und der Wagen werde bakteriendicht versiegelt. Wir selbst würden bis München in Quarantäne bleiben, damit man uns dort in das zuständige Tropeninstitut einweisen könne. Ansonsten sollten wir den Mut nicht sinken lassen. Immerhin würden drei von zehntausend Infizierten die Legionärskrankheit überleben.
Doch Paula wollte nichts von Statistiken wissen. »Hunger!«, schrie sie dem Wesen gegen seinen Raumhelm. Und dann tat sie, als würgte sie etwas im Bauch oder im Hals oder an beiden Stellen gleichzeitig. Flugs verschwand der Alien.
»Übertreib nicht so«, sagte ich, aber Paula winkte nur ab, und dann wurde uns wirklich, nachdem wir uns möglichst weit von der Tür hatten aufstellen müssen, ein gewaltiges Essenspaket ins Abteil geschoben.
»Pablo fastet vielleicht besser.« Aber das sagte Pauline im Scherz. Und tatsächlich mussten die beiden ihn dann sehr herzlich bitten, sich mit seinem Anteil zufriedenzugeben. Ich selbst hatte natürlich keinen Hunger.
Nach dem Essen redeten wir wieder über dies und das. Und irgendwann kam auch die Sprache auf Paulas indische Heirat, vor der wir jetzt auf der Flucht waren. »Ich kann das nicht so richtig glauben«, sagte Pauline. »Der Mann ist nicht mal dein Adoptivvater, da hat er doch gar nicht über dich zu bestimmen.«
»Du kennst diese Inder nicht.« Paula wischte sich ein paar Krümel von der Hose. »Die kümmern sich nicht um Gesetze. Und mit vierzehnjährigen Mädchen machen die, was sie wollen.«
»Trotzdem. Gegen so was kann man sich wehren. Da gibt es Leute, die einem helfen.«
»Du hast ja keine Ahnung.« Paula zog die Stirn in Falten. »In deinem Ferienparadies gibt’s ja nur hausgemachten Ärger.«
Das roch nach Streit! Und den konnten wir nun wirklich nicht brauchen. »Wisst ihr was«, sagte ich schnell, »wir
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