Mueller und die Schweinerei
haben sie keines mehr, und dann wird es besonders schwierig, weil sie von irgendwoher wieder Geld besorgen müssen, und dafür beziehungsweise dagegen gibt es die Polizei und den Müller, die sich dann mit diesen Problemen beschäftigen müssen. Das muss wiederum der Steuerzahler zahlen, also wir alle, und deshalb hier auch die Empfehlung: Hände weg von Drogen, weil sie machen dich wie der Alkohol kaputt und fertig und im Kopf ganz diffus. Ich meine, das siehst du ja bei alten Rockstars, sagt sich Michael Hauser am Tresen beim vermutlich vierten Bier. Da fällt sein Blick auf sein Spiegelbild hinter dem Wuschelkopfwirt im Hawaiihemd, und das Spiegelbild streckt Hauser die bunt belegte Zunge heraus und raunt hämisch: »Ha ha ha«. Das ist unbestritten abschätzig gemeint. Aber Achtung: Wenn das Spiegelbild Hauser die Zunge herausstreckt, bedeutet das, dass Hauser dem Spiegelbild die Zunge herausstreckt. Also sich selbst. Und das lässt tief blicken.
Es geht ihm also nicht so gut, weil allein, einsam, angetrunken und sagen wir’s ehrlich: ein schleichendes Drogenproblem. Bisher noch keine geschäftlichen Termine (Interviews, Konzerte, Showcases, Besprechungen, Abgabetermine) verpasst, aber doch bereits auf der glitschigen schiefen Ebene, auf der es keinen Halt nirgends gibt, und deshalb anhalten schwierig, sehr schwierig, müsste sich auffangen, müsste pausieren können, Stopp sagen, sich ausklinken, aber schwierig, wenn überall Einzelkämpfer, Einzelkämpferumfeld, Konkurrenzdruck, ich meine, so viel kommt eben auch nicht herein, dass Michael Hauser jetzt einfach den Koffer packen und ans Meer oder nach Barcelona fahren könnte.
Hauser sitzt am Tresen, zählt in Gedanken das Geld in seiner Tasche, während hinter ihm Blacky im Kreis geht und im Kreis erzählt von den Azteken und den »Eskimaus« und der ganz anderen Kultur im alten Amerika. Und ob es noch ein Bier leiden mag, fragt sich Hauser. Er weiss, dass nein, aber bestellt im dichten Rauchnebel doch noch eines, das allerletzte nach dem letzten. Was mache ich hier bloss?, fragt er sich.
* * *
Zur gleichen Zeit sitzt Franz Schubert in seiner »Internationalen Clearingzentrale«, weil es ist Nacht und etwas kühler als dreissig Celsius, aber das ist egal, denn diese Etage sowieso klimatisiert. Der Kreis 4 wird zu dieser Tageszeit – ansteigende Kurve die Woche durch von Sonntag (wenig) bis Samstag (Rekord) – immer von Litteringterroristen, Amüsiermonstern und Rumbrüllern heimgesucht, Wildpinkler brinzeln kunstvolle Figuren auf verlassenen Kinderspielplätzen, Autosirenen hupen ohne ersichtlichen Grund los, Autotüren fallen extralaut ins Schloss, Motoren rocken die Hauswände wie Milchzähne im Gebiss von Achtjährigen, Auspuffsinfonien lassen die Fensterscheiben im spröden Kitt klirren. Irgendwo Geschrei. Irgendwo ein Messer. Irgendwo Gerenne und Diebstahl und gestreckter Stoff. Das alles und noch viel mehr draussen vor den Fenstern von Franz Schuberts Musterbetrieb, einer KMU mittlerweile mit fett gedrucktem M. Der CEO und Chefstratege, Gründer und Stöchiastikpionier ist ganz im Clearen versunken, denn er hat einige komplexe Vorgänge abzuwickeln. Das Komplizierte und das Meditative an den undurchdringlichen Zahlenreihen reizt ihn, der sonst tagsüber schon lange strategisch-konzeptionell wirkt. Das Mechanische kann er längst auswendig, das gibt ihm keinen Kick mehr, wie man heute sagt. Er ist ein geerdeter Kerl, der weiss, dass er mit diesem Komplizierten, das für ihn zum Mechanischen geworden ist, eine ganze Existenz aufgebaut hat. Deshalb ehrt er es, im stillen Zwiegespräch mit den Zahlen. Da kennt er keine Uhrzeit, ist wie im Rausch. Er wohnt dann quasi im Büro. Zum Glück ist er Single, sonst wäre er es bald wieder.
Franz Schubert fragt sich, ob der Müller morgen vielleicht wieder vorbeikommt, um ihm und seiner Firma beim Dienstleisten zu helfen. »Du bist ein Naturtalent«, hat er den Müller mehr als einmal gelobt, weil dem Polizeimann geht das Clearen recht flott von der Hand, obwohl er es nie richtig gelernt, geschweige denn studiert hat wie Franz Schubert, der sogar im Radio darüber gesprochen und das von Singapur bis Rovaniemi bekannte »ShooToo« erfunden und das eidgenössische Diplom im Clearen hat. Das schaffen nicht viele, denn pro Jahrgang versieben im Durchschnitt rund 73 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten die Abschlussprüfung. Eine Wiederholung ist erst ein Jahr später möglich, und nach dem nächsten
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