Mueller und die Schweinerei
Gulaschvorrat entgegenlächeln. Joachim Scharpf schwört auf Frischprodukte, aber trotzdem: Prinzip ist Prinzip, obwohl der Müller ja nicht wirklichwirklich im Dienst, weil psychotraumatische Situation von Müllerstrasse.
Aber daran denkt er jetzt nicht. Weil der Abend schon etwas weitergeblättert ist, will er nach Hause in die abgedunkelte Wohnung, die Treppen hoch und aufschliessen und Strassenschuhe sofort ausziehen wegen des Trittschalls. Das hellhörige Haus macht manche ganz krank. Die Nachbarin vom Stock unter der Müllerwohnung wird sonst ganz wild, obschon der Müller nicht stampft wie ein Elefant, aber erklär das mal jemandem, der auf den Ohren zimperlich ist. Dass er dafür jedes ihrer Telefonate Wort für Wort mithören muss, interessiert nicht. Der Müller ist keiner, der sich beschwert. Häuslicher Frieden ist ihm wichtig. Einen Liter vom Zürcher Leitungswasser, das schmackhaft aus Grund-, See- und Flusswasser zusammengesetzt ist, will er sich jetzt hinter die Binde giessen und damit die Zähne putzen und Kleider weg und ab ins Bett. Davor auf dem Boden steht der Ventilator, den der Chinese gemacht hat, der Müller hat ihn neu und stinkbillig erstanden. Läuft auf Stufe zwei, rührt die Luft um, ein Häuchlein von Chillfaktor wirbelt die Staubmäuse in die Ecken des Müllerschlafzimmers. Deckenlicht löschen, Nachttischlampe an, weil der Müller zur Entspannung ein paar Seiten lesen will. Trotz vermuteter Fälschlichkeit von Mafia-Hypothese nimmt der Müller Giuseppe Fava aus dem Regal, Roman »Ehrenwerte Leute«, schlägt auf, beginnt zu lesen, und wir lassen ihn jetzt allein.
Doch wir schauen eine runde Stunde später nochmals bei ihm rein: Der Müller wacht nämlich plötzlich auf, weil der Ventilator surrt nicht mehr leise, sondern schrappt und rattert, du meinst, es ist ein Traktor. »Kein Wunder, Sonderangebot«, sagt der Müller, »den bringe ich morgen zurück.« Stellt ihn ab. Jetzt endlich Stille, aber viel zu heiss.
* * *
Wir wechseln zu einem anderen Schauplatz, weil die Einheit vom Ort funktioniert zwar im klassischen Theater, aber nicht hier bei uns in der Lebensrealität. Ich meine: Ich bin jetzt hier und nicht gleichzeitig woanders, denn das ginge ja gar nicht. Aber anderswo passiert auch etwas, nämlich das: Der Musikjournalist Michael Hauser schleicht sich gerade in seine aktuelle Lieblingsbar. Sie steckt im Erdgeschoss eines alten Hauses irgendwo in den Stadtkreisen 3, 4 oder 5. Ihren Namen erwähne ich hier nicht, weil wir keine Reklame machen wollen für dieses Rattenloch, weil die Drinks sind überteuert, der Whiskey ist gestreckt, das Bier schlecht gelagert oder minderwertig und der Wirt Paul Meierhans ölig und steckt seit geschätzt dreissig Jahren unbeirrt im Hawaiihemd. Vor dem Haus und erst recht drinnen riecht’s nach altem Bier, weil der Wirt seinen schmutzigen Lappen tagein, tagaus und auch am Abend in abgestandenem Gerstensaft schwenkt. Es beisst in der Nase, es brennt in den Augen von American Blend oder gar Maryland, wenn man die Stummel erst am Morgen ausleert. Drin ist es halbdunkel. An der Wand kleben Faksimiles von legendären Rockfestivalplakaten und ein womöglich fotokopiertes Autogramm von Jimi Hendrix, in einer kleinen Vitrine ein Bassplektrum von Sid Vicious mit Echtheitszertifikat, ein Originalhosenknopf von Robbie Williams und eine Haarsträhne von Bettie Page. Hinter dem langen Holztresen mit Zinkauflage lauert der Wirt auf Umsatz und lacht zu laut, wenn ein wichtiger Mensch etwas sagt. Selbst sagt er nichts. Stumm nimmt er die Bestellungen entgegen, wenn er gnädig genug ist, bedient er auch nicht wichtige Kunden. Eine seltsame Höhle. Das macht Michael Hauser nichts aus, weil er einfach nur von dem lauwarmen Bier trinken will. Eins, zwei, drei, vier. Viel mehr werden es nicht sein, sind es nie, dürfen es nicht sein, weil Michael Hauser nicht viel Geld verdient und nicht allzu spät aufstehen muss. Ist selbstständig, arbeitet für Geld, hat Auftraggeber. Kommt hinzu, dass Alkohol sehr schädlich ist, wenn im Übermass genossen, und das Übermass ist schon bald voll und dann hoppla! Das gibt viele Probleme. Ich würde nie und nimmer für Alkohol werben, weil sonst kommt es vielleicht sogar noch zu Schadenersatzklagen gegen den Müller oder gegen mich, weil ein Geschädigter behaupten könnte, wir hätten Reklame gemacht für den Alkohol. Dabei haben wir nicht. Energisch nicht. Deshalb deutliche Warnung: Der Alkohol ist ein Teufel, er macht dich
Weitere Kostenlose Bücher