Mueller und die Schweinerei
Eskimaus weiss man nicht, ob sie auch Kontakt hatten, weil wenn sie Pyramiden gebaut hätten, wären die mit der globalen Erwärmung schon weggeschmolzen, vermute ich. Darum findet man keine Spuren mehr davon. Das war wirklich eine ganz andere Kultur.«
Aber warum erzählt Blacky vom »Thunderstorm MC « all das? Wer hört ihm zu? Hauser hört ihm zu und zwei, drei andere, die an der Bar stehen, weil Blacky ist bekannt. Er wird nie aggressiv, obwohl er ganz grausam aussieht, so ein bisschen wie Dschingis Khan meets Ozzy Osbourne , aber das ist nur äusserlich. Wer ihn besser kennt, und da kann ich von meinem Wissensvorsprung profitieren und etwas davon Ihnen, liebe Leserin, werter Leser, weitergeben: Blacky war ein ganz Böser, er hat ein Vorstrafenregister von hier via Nikosia bis Kairo, aber nach der siebzehnten Verurteilung hat ihm die Behörde einen Teil des Hirns herausnehmen lassen, sagt man, auf richterliche Verfügung hin. Blacky selbst sagt, dieser herausgenommene Teil des Hirns steht als Trophäe in Spirituosen eingelegt im Büro des Oberstaatsanwalts, der es regelrecht auf ihn abgesehen hatte. So ungerecht ist die Welt.
Jedenfalls ist Blacky, seit ihm dieser Teil des Hirns herausgenommen wurde, richtig zahm. Dass Sie jetzt nicht auch meinen, wir machen Reklame für böse Menschen.
Blacky hat seine Zeit im Kittchen gebüsst, sechzehnmal. Er hat seinen Teil der Schuld gesühnt, und jetzt muss man ihm eine zweite Chance auf ein siebzehntes Leben lassen. Aber bei den Azteken, da hätte man ihm längst schon das lebendige Herz zuckend aus dem Leib gerissen, und bei den »Eskimaus« hätte man ihn in einen Ledersack eingenäht und unten an ein Walross angebunden, das dann entweder untergetaucht wäre oder sich darübergewälzt. So grausam sind diese fremden Kulturen. Aber diese Bräuche entstehen ja irgendwie aus einem Grund. Das können wir heute gar nicht so richtig beurteilen, weil es ist wirklich weit weg und ganz grundsätzlich anders als bei uns.
In der Bar ohne Namen kennt man Blacky recht gut.
Und Blackys Vortrag stört niemanden, weil da läuft auch noch Musik im Hintergrund, »Born To Be Wild« und »Smoke On The Water« und »I Want To Live Forever« und »(I Can’t Get No) Satisfaction« und noch das eine oder andere mehr mit Gitarren, Bass und Schlagzeug. Und aus den Händen der drei, vier Männer an der Bar steigen stumme Rauchfäden auf, sie trinken wie Fische, das lauwarme Kerosinbier rinnt als Schweiss sofort wieder aus den Poren. Blackys Ausführungen bringen immerhin etwas Leben in die Bude, das muss man schon eingestehen.
Aber was geht derweilen in Michael Hausers Oberstübchen vor? Hier ist der Kernsatz: »Wie viele Identitäten hat ein Mensch?« Diese schwer zu beantwortende Frage schiesst dem Musikjournalisten Hauser in den Kopf. Er weiss nicht, warum, und grübelt sogleich darüber nach, weil es vordergründig gar keinen Bezug hat zu seiner aktuellen Lebenssituation. Er hat sich bis vor Kurzem eigentlich innerlich ziemlich gefestigt gefühlt in seinem Beruf und als Mieter an der Bertastrasse. Das Wohnen in einem der ersten acht der zwölf Stadtkreise der Goldenen Stadt, da gehört einer zum auserwählten Volk, das kann man wirklich sagen. Aber Hauser erlebt jetzt einen Moment, wo das Leben ihm einen Erkenntnismoment um die Ohren watscht: vielleicht etwas viel Bier und viele synthetische Drogen in letzter Zeit. Martina, was seine Freundin war bis vor Kurzem, hatte so etwas verlauten lassen, bevor sie sich definitiv zum Post-doc-Studienaufenthalt nach England abgemeldet hat, und hinzugefügt: »Du brauchst mich nicht zu besuchen, ich komme alleine klar.« Das hatte gesessen, weil so etwas hört man nicht gerne: dass er sie gar nicht zu besuchen braucht und sie alleine klarkommt, denn erstens wäre ein Besuch in England schön, und zweitens deutet der Satz doch auf ein nicht reparierbares zwischenmenschliches Zerwürfnis. Ging ja auch ein Streit voraus.
Hat sie einen anderen?
Hauser hat seither etwas mehr Geld für Bier und synthetische Drogen investiert und vor allem auch mehr Zeit dafür. Da liegt der Hund im Pfeffer. Ich muss mich am Riemen reissen, sagt Michael Hauser zu sich. Ist kein Schlechter, wissen wir seit »Müller und die Tote in der Limmat«, hat dem Müller damals gerne Kaffee angeboten und Informationen erzählt. Aber mit Drogen werden die Leute nicht unbedingt lebenstüchtiger, im Gegenteil: Es wird schwierig für sie, weil sie brauchen mehr Geld, und irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher