Mueller und die Schweinerei
mich, stelle ich mir vor. Das gibt es ja immer, dass sich die Leute gerne kranklachen über die Polizei, obwohl der Müller da eigentlich drübersteht.
Ich glaube, ich drehe mich im Kreis, sagt sich der Müller. Das zuzugeben wäre jedoch der grösste Fehler. Darfst du nicht. Man darf die anderen nie wissen lassen, dass man sich im Beruf verrannt hat. Es gibt immer jemand, der von einem eine Negativliste führt und nur darauf wartet, sie dir um die Ohren zu hauen. Manchmal bleibt dann nur der Gang vors Arbeitsgericht oder die Mobbingkommission. Oder man wirft sich in den Staub, ruft »mea culpa« und so weiter, appelliert ans Mitleid der Höherrangigen und schuftet weiter mit einem gebrochenen Rückgrat. So weit darf es nicht kommen. Wird es der Müller nicht kommen lassen. Lässt er es nicht kommen. Kriegt sich wieder ein.
»Ich überprüfe nur vage Hinweise«, sagt der Müller zum Hauser. Und – o Wunder – das scheint als Begründung schon auszureichen. Hauser schaut weder skeptisch noch spöttisch, aber immer noch verkatert. Der vom Müller gemachte Tee hilft wirklich, Hauser hat eine menschliche Farbe angenommen. Fazit von Müller: zwar bei dieser Befragung nichts herausgefunden, aber immerhin gute Tat vollbracht, indem menschliche Wärme gespendet. Und so verlässt der Müller Hausers Wohnung doch noch eingermassen aufrecht: »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.«
Was tun mit dem angebrochenen Tag? »Nicht offiziell im Dienst«, das bedeutet, er muss nicht zurück in seine Dienststelle, um sich um andere Fälle zu kümmern. Auch längst fällige Rapporte endlich zu Papier zu bringen, ist zurzeit nicht seine Aufgabe. Keine Besprechungen, kein gar nichts. Die Controlling-Schergen mit ihrem Kostenstellenfimmel sind auch nicht hinter ihm her, und keiner kann ihn anschwärzen, wenn er nun eine Kaffeepause macht. Er weiss nicht, was an Kaffeepausen schlecht sein soll. Ist es doch durch viele Studien international belegt: Schwatzen nützt. Und das tut man nun mal beim Kaffeetrinken. Polizeilich gesprochen: Kaffeepause ist gut für Korpsgeist und Informationsaustausch. Unterschätzt wird auch die Korridorwanderung mit Alibimäppchen und -schriftstücken unter dem Arm: gut für Ideen, Austausch und geistige Sammlung. Die psychisch-taktische Funktion des Kaffeepausierens und Korridorwanderns lebt der Müller gegenwärtig in der »Internationalen Clearingzentrale« von Franz Schubert an der Bäckerstrasse 40 aus. Also will er dorthin. Doch der Müller davon weit entfernt, von der Bertastrasse erst rechts in die Zentralstrasse eingebogen. Was sieht er da fünf Meter vor sich unter den schattigen Bäumen? Das heisst, zuerst hört er den dumpfen Schlag und dann das Klirren, dann sieht er einen mittelgrossen Mann in hellgrünem T-Shirt mit Markenaufschrift und beigen Dreiviertelhosen, aber das genaue Signalement ist nicht wichtig, weil der Müller nicht zögert, ihn ergreift, festhält und niederrangelt. Am helllichten Tag hat sich der an einem silbergrauen koreanischen Kleinwagen zu schaffen gemacht. Was sage ich »zu schaffen gemacht«? Hat ihn geknackt. Aber der Müller hat ihn eisern im Griff, dann einhändig Mobiltelefon. Von der Quartierwache sind sie in wenigen Minuten da. Ein Delikt, Aufklärungsquote 100 Prozent. Der Müller hat einfach eine Nase.
Die Kollegen fahren mit dem Festgenommenen ab. Trotz dieses Erfolgserlebnisses nagt aber doch die Unzufriedenheit an Müller. Warum kommt er mit dem Schweinemordfall nicht voran? Taumelt in der Ermittlung herum, ohne Ziel und Anhaltspunkt. Früher, vor dem Schusswaffenvorfall im Mai, reagierte er bei noch so vertrackten Fällen ziemlich zielsicher, hatte wenigstens eine Idee, die sich zu verfolgen lohnte. Aber jetzt? Ist ihm seine Intuition abhandengekommen, auf die er sich sonst immer verlassen konnte? Lässt ihn seine Assoziationskraft seit dem Trauma im Stich?
Die Kollegen sind schon lange weg. Er steht noch immer unter den Bäumen, überquert schliesslich die Gertrudstrasse, setzt sich auf dem Spielplatz vor dem Kindergarten auf eine Bank. Am Kindergarten hängt ein Schild: »Boxclub Zürich«. Die trainieren da im Nebengebäude. Plötzlich beschleunigt sein Herzschlag, wird lauter, sprengt fast den Brustkorb: Der Müller ärgert sich. Überhaupt, was für einen Fall hat ihm der Chef da aufgehalst! Tote Schweine in Oberlunkhofen! Wo er doch der Abteilung Gewaltverbrechen angehört. Mit Menschen zu tun hat, Geschädigten, Verletzten, Ermordeten,
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