Mueller und die Schweinerei
Verdächtigen. Und Tätern. Und jetzt … mit Schweinen. »Tierdetektiv Müller«, sieht er den Bericht in einer bunten Illustrierten vor sich. Wie er Hunde und Katzen wieder aufspürt oder einmal einem verletzten Eichhörnchen hilft.
Alles völlig an ihm vorbei, diese Entwicklung. Entspricht nicht seinem Selbst. Ist nicht er. Ist kein Tierfreund.
Und er tut, was auf Kinderspielplätzen wenn nicht verboten, so doch völlig geächtet ist: zündet sich eine an.
Will mich der Chef loswerden? Nach neunzehn Jahren Dienst, funktioniert nicht mehr, werfen wir das kaputte Gerätlein auf den Müll? Sind jetzt jüngere, willigere und vor allem günstigere Polizisten angesagt? Er weiss ja um den Dauerkampf von Hauptmann Peter Wunderli mit der Buchhaltung und dem Budget.
Er steht von der Bank auf, geht zum Brunnen, nimmt einen Schluck. Setzt sich wieder hin.
Oder muss ich das ganz anders sehen? Hat’s nichts mit dem Chef zu tun, sondern mit meiner, wie soll ich’s sagen … Verfassung? Ich habe zwar den Fall der Toten in der Limmat gelöst: Sandra Molinari, die Sängerin, die von ihrem eifersüchtigen Nachfolger in der Band ermordet wurde. Und beim Sechsfachmord an ihrer ehemaligen Combo habe ich auch geholfen. Obwohl nicht im Dienst. Dann der ganze Aufruhr, das Lokalfernsehen, die Zeitungen. Sogar Kulturjournalisten interessierten sich plötzlich für die Polizei. War das alles einfach zu viel Wirbel? So wenige Wochen, seit ich einen unbewaffneten Fliehenden erschossen habe?
Er wirft den Zigarettenstummel auf den Boden, tritt ihn im Sand aus. Zwei Väter, die an den Klettergeräten ihren Nachwuchs überwachen, schauen den Müller an, als wollten sie ihn prügeln. Er nimmt die zerdrückte Kippe auf, trägt sie zum Abfalleimer. Kehrt auf seine Bank zurück. Die Augen der Väter wandern wieder zu ihren Kleinen. »Bravo, Dylan«, hört er rufen, »toll, wie du kletterst, gut so.«
Müller erinnert sich an Herrn Borowskis Worte: »Geben Sie sich Zeit. Nehmen Sie sich Zeit. Überstürzen Sie nichts.«
Im Schweinemordfall tappt der Müller, gesteht er sich jetzt ein, völlig im Dunkeln. Dabei fühlt er nicht einmal eine Dunkelheit, vielmehr breitet sich in ihm eine grosse Leere aus. Wir kennen alle das Gefühl: Ein riesiger Staubsauger kommt aus dem Weltraum und saugt dir alle Gedanken rübisundstübis ab, nichts ist mehr da, und du hast keinen blassen Schimmer mehr, wo du stehst und wohin du gehen sollst, obwohl der Müller alles andere als auf den Kopf gefallen ist. Das müssen Sie mir schon glauben, weil Polizeianstellungsvertrag, das kriegt nicht jeder. Ich wüsste einige, die ihn nicht bekommen haben. Nicht nur weil Runenliebhaber und so. Der Müller jetzt plötzlich völlig total und vollkommen ratlos und deshalb auch tatenlos, und es heisst doch: »Taten sprechen lauter als Wörter.« (Aristoteles).
Müller bleibt sitzen auf der Bank auf dem Spielplatz beim Kindergarten an der Gertrudstrasse. Er schleudert mit den Augen Präventivblitze gegen die beiden Väter, holt die Zigaretten hervor, pult eine heraus, steckt sie sich zwischen die Lippen. Schaut nochmals, aber besonders grimmig, zum Kletterspielgerät hinüber. Zündet sie aber nicht an. Sein Mund ist trocken. Steht auf, trinkt nochmals Wasser. Zündet sie immer noch nicht an.
Wohin mit sich?
Am liebsten möchtest du nur noch im Flussbad sein und lesen oder dösen oder auf dem Rücken liegen und den Vögeln am Himmel zusehen. Aber Müller weiss, dass er erst Land gewinnen muss. Wenn er nur auf der Holzpritsche liegt und grübelt und die Gedanken von selbst denken, verrennt er sich. Er darf nicht einfach tun, als sei alles in Ordnung und er bloss etwas müde. Also nicht in die Clearingzentrale, wo er sich nur mit der Magie der Zahlenreihen betäuben würde. Er muss zu sich selbst zurück. Also nach Hause.
Schritt für Schritt. Zurlindenstrasse. Auch hier kein Quadratmeter unbebaut, nichts ungeteert, alles volkswirtschaftlich und hypothekarisch nützlich und darum heiss wie in einer Bratpfanne. Die Schule mit den Kastanienbäumen. Rechts rein. Nur Werbung im Briefkasten. Lässt er drin. Hauseingang aufschliessen. Tür aufschieben. Treppenstufen. Hoch in den dritten Stock, Wohnungstür aufschliessen, in die Verdunkelung. Wie sieht’s denn hier aus?, denkt der Müller. Die Schuhe durcheinander, ein Polohemd auf dem Boden. Rechts in der Küche der Teller und die Tasse vom Frühstück, Nutellaglas offen, die Butter weich, tropft schon, der Küchentisch voll mit
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