Mueller und die Schweinerei
Zeitungen, am Boden ein Buch, hinuntergefallen. Im Wohnzimmer Kleider und Bücher auf dem Sofa, dem Stuhl, dem Tisch, auf dem Boden. Das Durcheinander nach einem Einbruch? Einer hat seine Sachen durchsucht? Nein, das Durcheinander vom Müller. Weil er nur zum Schlafen und Frühstücken zu Hause ist, hat das Chaos das Machtvakuum ausgenutzt und die Herrschaft übernommen. So nicht, denkt er, ich darf mich nicht gehen lassen. Es reicht. Und er sortiert zuerst die Kleider, ob sauber oder nicht, ob dreissig oder sechzig Grad. Dann die Bücher alphabetisch ins Regal im Wohnzimmer. Dann die Zeitungen zu einem Bündel zusammengeschnürt vor die Tür. Dann das Geschirr in den Spültrog, er wäscht ab. Lebensmittel in den Kühlschrank. Den Staubsauger raus, eingesteckt, die ganze Runde von rechts nach links durchsaugen: Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad. Den Staubsauger wieder in den Schrank. Blick in die Runde: Die Wohnung ist fast doppelt so gross geworden.
Dann Dusche, dann Bett. Sofort eingeschlafen.
Zwei Stunden später wie ausgewechselt. Der Müller weiss: Er muss es jetzt tun. Er muss jetzt telefonieren, mit Amerika, den Vereinigten Staaten von, Ohio, Rupert »Love« Cartwright, der Rupert »Love« Cartwright, der einzige und wahre, » RLC « , wie die Welt der Rockmusik den berühmten Insidertipp nennt. Wie den telefonisch erreichen?
Der Müller den Computer an. Internet an. Suchen. Kommt zuerst Webseite »rlc.com«: Videos, Audios, Biografie, Fotogalerie, Pressemeldungen, Games. Unter »Kontakt« nur ein elektronisches Antwortformular. Kannst du als Polizist nicht brauchen: »Guten Tag, ich bin von der Polizei in Zürich und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen. Bitte rufen Sie mich zurück unter 0041-44- …« Als Bittsteller auftreten geht nicht. Er ist die Polizei. Und USA -Telefonbuch im Netz ergibt auch nichts. Kommt nichts mit RLC in Ohio. Aber die Suchmaschine verknüpft irgendwie verschiedene Wörter, die der Müller eingegeben hat, und irgendwo weit unten kommt »Johnson, Johnson, Johnson & Johnson Entertainment«, abgekürzt »4 JE «. Der Müller sucht dort, findet, dass das das Management von RLC ist. Jetzt einfach: New York, Adresse, E-Mail, Telefonnummer.
Gut, denkt der Müller. Und: Zeitverschiebung, denkt Müller. Internet hilft: Sind sechs Stunden.
Also jetzt dort halb neun morgens. Kann man riskieren.
Aber vorher in der Küche noch Wasser trinken. So … Ins Wohnzimmer zurück. Sich wieder an den Tisch setzen, wo der Computer und das Telefon stehen. Räuspert sich, hat Frosch im Hals, er spricht zwei, drei Sätze. Nein. Die Mundtrockenheit macht ihm wirklich zu schaffen. Vielleicht eine Frucht essen? Einen Pfirsich? In der Küche holen. Und damit auf den schmalen runden Balkon hinaus, der aussen um die Hausecke herumläuft. Von da kann er das Schulhaus sehen, die gelben Kastanienbäume, die Müllecke, aber auch die leicht gebogene Strasse hoch, die oben in die Aemtlerstrasse mündet. Und sogar ins knausrige Grün des Hinterhofs kann er schauen. Schon praktisch, so ein langer, schmaler Balkon, der rund um die Ecke der Fassade führt. Kannst du dahin und dorthin schauen. Doch die Gedanken kreisen. Kreisen auf Englisch. Kreisen ums Englisch. Als hätte sein Hirn einen Übersetzungsautomaten eingeschaltet, legt sich jetzt über alles, was er sieht, eine Schrift mit englischen Wörtern: »school«, »tree«, »car«, »street« geht ja, aber was heisst »Pfirsich« oder sogar »Pfirsichkern«? Den hält er in der Hand. Saftet. Finger klebrig. »Klebrige Finger«, wie heisst das auf Englisch? Auf die Betonbrüstung legen, den Kern, die Finger ablecken. Noch eine Zigarette. Um sich zu beruhigen. Er raucht. Jetzt aber am Riemen reissen. In New York ist’s schon Viertel vor neun. Ins Wohnzimmer zurück.
Ja, der Müller ist nervös. Er hat schon lange nicht mehr Englisch gesprochen, sicher nicht am Telefon. Da kann man sich nicht mit Händen und Füssen und Lächeln verständlich machen. Und dann noch in die USA , immerhin nicht in die Südstaaten, die man im Kino nicht versteht. Sein Wortschatz ist nicht besonders. Was man halt so braucht bei der Polizei: »You’re under arrest« und »Ah, you want a lawyer?« und »Passport, please«, »Wait for the translator«, solche Sachen. Und sicher keine gute Tonqualität am Telefon … das macht alles noch schlimmer. Jetzt noch einen Schluck Wasser. In New York schlägt es gegen neun. Besser als halb neun, denkt der Müller, ein Managementbüro fängt
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