Mueller und die Schweinerei
neben aktiveren Vereinsmitgliedern am Vortrag des Albisrieder Philatelistenvereins, wo Herr Bohnenblust über die »Ganzsachensammlungen von 1945 bis 1972 im Wandel der Zeit« gesprochen hat, was ehrlich gesagt eine Brisanz aufweist, von der nur wenige wissen, und wirklich ein weites Feld ist mit Weiterungen und Zusammenhängen in viele Richtungen. Das so kompakt unter einen Hut zu bringen, würde sich Franz Schubert nie zutrauen, weil ihm fehlt, ehrlich gesagt, ein bisschen das Fachwissen. Er legt bloss die Briefmarken mit Blumen und Vögeln und Tieren und Landschaften in einen Schuhkarton für die Zeit nach der Pensionierung, wenn er vielleicht mehr Zeit hat und nicht mehr so gut zu Fuss ist. Man muss eingestehen und sagen: Für Franz sind die Briefmarken eine kleine Abwechslung, denn: Tag für Tag das Clearing und das Drumherum, das ist psychisch und mental recht anspruchsvoll. Vor allem wenn du als selbstständiger Unternehmer die Gesamtverantwortung trägst und strategisch auf dem Quivive sein musst, weil der Markt ändert sich rasant, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ist sehr volatil: Was gestern noch absolut Usus war, gilt heute schon völlig als Schrott. Du brauchst Alleinstellungsmerkmale und musst die Nase scharf im Wind haben, neue Geschäftsfelder und -modelle vorauswittern können, damit du schon ready-to-go bist, bevor andere nur im Traum daran gedacht haben könnten, was auf sie zukommt. So betreibt Franz Schubert seine Firma, 85 Prozent ausländischer Markt, 15 Prozent Inland. Ausland vor allem EU , zurzeit auch starkes Wachstum in Kanada, innerhalb der EU boomen gerade Benelux und stark wie immer Deutschland, die baltischen Staaten performen auch besser, und Finnland und Schweden, da ist Franz traditionell stark. Aber denken Sie jetzt nicht, er hat ein grosses Haus mit Induktion, Carport und Alarmanlage sowie einen hubraumstarken Rekordbenzinsäufer und neureiche Statuetten in seiner geräumigen Villa. Nein, nein, Franz Schubert ist ein einfacher Mann geblieben. Ihm ist es nicht in den Kopf gestiegen, wohnt seit Jahr und Tag ebendort im Albisrieder Schattenloch, und darum versteht er sich so gut mit dem Müller. Auch jetzt, wo der Müller eine schwierige Zeit durchmacht, hat Franz immer zum Müller gehalten, ihm zugehört, ist mit ihm spazieren gegangen und hat ihn mit offener Bürotür als Hilfsclearer aufgenommen. Eine geregelte Tagesstruktur hält dich vom Alkohol fern, und menschlicher Kontakt ist immer das Beste für eine verletzte Seele. Als Freund weiss man das.
Und am Vortrag an der Jahresversammlung des Philatelistenvereins Albisrieden hört Franz Schubert ein Wort, das ihm hinterher nicht mehr aus dem Kopf will: »Rollschinken«.
Rollschinken.
Jetzt wirst du sagen: Aber dieses pummelige Fleischstück hat doch mit Briefmarken nichts zu tun, und mit Ganzsachensammlungen im Wandel der Zeit erst recht nichts. Stimmt. Aber es stimmt auch, dass Franz Schubert dieses gerade oben gesagte Wort bei der geschilderten Gelegenheit gehört hat: »Rollschinken«. Das ist ein Teil vom Schwein, vom Metzger in Zylinderform gebracht, vom Metzgergehilfen in einem Netz gefesselt, und schmeckt besonders gut mit einem kühlen Blonden und scharfem Senf, Sauerkraut und Kartoffelsalat. Meerrettich geht auch. Franz Schubert misst dem gehörten und nach dem Vortrag in dicken Scheiben auch physisch einverleibten Wort »Rollschinken« zuerst zwar keine grosse Bedeutung zu, weil »Rollschinken« … ich meine, das ist Alltag, wir begegnen ja ständig dem Rollschinken. Der gehört einfach zu unserer Lebensart: Am Unterhaltungsabend des Kegelvereins, an Geburtstagen, am Sonntag, auf dem Land, in Quartierbeizen, an der Jahresversammlung des Philatelistenvereins Albisrieden, beim Lottoabend, an der Metzgete, immer ist der Rollschinken dabei. An der Turnertombola kann man ihn gewinnen, und wenn man zu viel davon isst, sieht man auch bald aus wie einer, aber das gehört nicht hierher.
Wie Franz Schubert nach dem Vortrag vom Hubertus in Richtung Albisriederdörfli, also nach Hause, spaziert und den Rollschinken im Bauch sprudeln hört, kommt ihm plötzlich der Müller in den Sinn. Der Clearingunternehmer denkt sich nämlich: Morgen muss ich dem Müller vom Rollschinken erzählen.
Franz weiss jedoch nicht so recht, warum er beim Wort »Rollschinken« ausgerechnet an den Müller gedacht hat. Weil der Müller ist beileibe kein Rollschinkenspezialist und sieht auch nicht so aus. Es ist einfach so ein Gefühl, eine
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