Mueller und die Schweinerei
Freunde habe, nein, so sei es nicht, aber Feinde habe er wirklich nicht, seit der Primarschule nicht mehr, als ihm der Steinmann und der Stierli die Schneebälle und die Hagebuttenkerne hinten in den Kragen gestopft hatten. Da wachse man doch heraus, er grüsse die ja immer, wenn er sie im Dorf sehe, und sie ihn auch, weil sie schliesslich jahrelang miteinander im Turnverein und am Lottoabend waren, und diese Art von Auseinandersetzungen, die gehörten doch einfach zur Kindheit dazu. Da vergifte dir sicher keiner später die Schweine, so Heini Angst. Das hat schon was, denkt der Müller, sonst müsste man einfach die gruppendynamischen Prozesse jeder Primarschulklasse analysieren, und die Gefängnisse wären sofort voll.
Und Müller denkt: Vielleicht doch ein Versicherungsbetrug?
Aber Heini Angst so freundlich, so offen und der Hof blitzsauber und so gut im Schwung, dass ein paar 1000 Franken für die verendeten und verletzten Schweine nicht viel bringen würden ausser Ärger und Nervenaufreiben. Heini Angst sieht jedoch nicht aus wie ein Freund von dieser Art von Nervenkitzel. Der hat genug zu tun und sicher keine Langeweile, sodass er irgendeinen Quatsch vollbringen müsste, um das Leben interessant zu machen.
Also einfach nett plaudern und zwischendurch harmlos einflechten: »Zahlt wenigstens die Versicherung?«
Heini kratzt sich am Hinterkopf, sein Blick klart auf, als hätte ihn dieser Müllersatz erst auf die Idee gebracht: Darum habe er sich noch nicht so recht gekümmert, weil die Versicherung brauche erst den Polizeirapport, den habe er noch gar nicht angefordert beim Posten Bremgarten, denn er hat im Moment viel zu tun, zuerst natürlich mit den toten Schweinen, wegschaffen und aufräumen, dann mit dem Mais und den Kartoffeln, die Hitze ist schlecht, viel wässern, damit sie nicht im Boden verdorren, aber auch nicht zu viel, sonst verfaulen sie erst recht, und dann noch die Futterrüben, ja, der Versicherungsinspektor kommt wohl nächste Woche vorbei. »Wir verhungern ja noch nicht«, lacht es aus Heini Angsts wettergegerbtem Gesicht. Und wie zum Beweis kommen Nicht-Gustav, Nicht-Meinrad und das Nicht-Annerösli herbeigerannt, mit einem Riesenstück Marmorgugelhopf in der Hand. Das Paradies ist wieder fast perfekt.
»Jetzt muss ich wieder los«, sagt der Müller. Er verabschiedet sich von den Kindern und vom Schwendihofbauern und diese sich von ihm, der wieder zur Postautohaltestelle geht. Die paar hundert Meter Gehen unter den Sonnenstrahlen hätte er vermeiden können, wenn er sich doch für das Auto entschieden hätte.
* * *
Es ist Abend geworden. Obwohl noch hell, wie die Jahreszeit befiehlt, tauchen wir ins Dunkel des menschlichen U-Bewussten, genauer in die Jahresversammlung des Albisrieder Philatelistenvereins hinein. Ort: Zürich-Albisrieden, liegt am Fuss des Uetlibergs, hat im Sommer das Glück, schon nachmittags Schatten abzubekommen. Im Winter natürlich ein gewisser Nachteil, fast ein dunkles Loch. Aber nun geniesst man es, hier zu sein. Gerade verebbt im Saal des etwas baufälligen Restaurants Hubertus der Applaus. Ehrenpräsident Jakob Bohnenblust hat soeben den traditionellen Jahresvortrag zu einem Thema der allgemeinen Philatelie von den Blättern abgelesen. Titel: »Schweizer Ganzsachensammlungen von 1945 bis 1972 im Wandel der Zeit«.
Es ist nämlich so, dass Franz Schubert, bekannt als Finanzdienstleister und Müllers Freund, in der Kindheit ein begeisterter Philatelist war. Noch heute packt es ihn manchmal, wenn er eine besonders schöne Briefmarke sieht. Die meisten Leute kleben einfach beim B-Post-Brief die fünfblütenblättrige orange Blume namens Cucurbia pepo und beim A-Post-Brief die violette Blume mit dem seltsamen Knöllchen vorn (Pisum salvium) auf den Umschlag. Das ist zwar schön, weil Heimatblumen und Blumen überhaupt der Seele wohltun, aber was grottenlangweilig ist, weil auf allen Umschlägen klebt immer das Gleiche. Das trägt nicht eben zur Verschönerung der Welt bei. Deshalb freut es Franz Schubert sehr, wenn er eine nie gesehene farbige Briefmarke sieht. Weil im Geschäft, da bekommt er natürlich das meiste nur elektronisch, und wenn etwas auf Papier, dann mit einem Computercode-Kleberlein versehen. Also so richtig unphilatelistisch. Ihm fehlen die farbigen Bildchen im Alltag, wo man sieht, ah, eine violette Ballonblume , das muss ein Brief aus Deutschland sein, wer mag ihn geschrieben haben?
Deshalb sitzt Franz Schubert nun aus Sympathie mit der Sache
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