Mueller und die Schweinerei
Autobahnrestaurant quer über die Autobahn, heisst deshalb »Fressbalken« Würenlos, und dunkles Auto.
»Kennzeichen? Marke?«
»Weiss ich nicht.«
Drei unbekannte Männer.
»Nein, ich kann sie nicht näher beschreiben. Ich habe sie vorher und nachher nie gesehen.«
Da muss sich der Polizeimann gut im Griff haben, um nicht loszubrüllen wie ein Soziopath oder Schlimmeres. Er darf auch keine Elektroden an Körperteilen des Befragten anbringen oder ähnliche Sachen machen. Da sind wir uns einig, auch mit Strassburg. Und was nützt schon ein erzwungenes Geständnis? Wahr muss es sein. Musst du argumentieren, nämlich der Müller so:
»Versuch von vorsätzlicher Tötung, vielleicht sogar Mordversuch …«, sagt der Müller in Zeitlupe ganz administrativ und kalt, »und da Sie die 50’000 nicht als Einkommen deklariert haben, kommt Steuerhinterziehung dazu –« Der Müller bleibt mit dem Ton oben, zieht das Schluss-U kurz in die Länge, als würde er noch vier Minuten lang mögliche Anklagepunkte aufzählen wollen.
Er hält den U-Ton in der Schwebe und die Guillotine fallen: »Ein Spass wird das nicht in Regensdorf.«
Diesen Satz lässt man eine Weile wirken wie eine Chlortablette. Er sinkt durch die Ohren und das Gehirn und das Stammhirn tief in die Eingeweide hinunter. Die beginnen leicht zu kribbeln, dann zu gurgeln und zu zucken, und dann müsste der Mutmassliche unbedingt aufs WC .
Das sagt Paul Meierhans denn auch: »Ich muss dringend aufs WC .«
»Kommen Sie«, sagt Gustav Weiermann, »ich begleite Sie.« Meierhans auf, beide hinaus. Türe zu.
Atmen.
Wunderli, Bucher, Catanzaro, RA Dr. Burkhalter schauen den Müller an. Erweist sich einmal mehr als Verhörwunder.
Aber ist kein Geheimnis: Beim blossen Gedanken schon an die Postleitzahl 8105 wird es den potenziellen Insassen seltsam. Postleitzahl von Regensdorf funktioniert quasi wie ein Dosenöffner. Verfehlt ihre Wirkung höchstens bei Berufsverbrechern.
Der Müller nimmt einen Espresso aus der Maschine und holt eine Zigarette aus der Packung. Das Rauchverbot hat die letzten Bastionen der Polizei noch nicht schleifen können. Er bläst eine Wolke aus sich heraus in die Luft des Verhörraums 419.
So zähflüssig zieht das manchmal Fäden bei der Polizei. Es eiert manchmal alles ewig herum, das glaubst du kaum. Da ist nichts in sechsundfünfzig oder neunzig Minuten fertig (plus Werbepausen). Schuld und Sühne halten sich nicht an Formate, Verbrechen und Strafe gehorchen nicht Hollywoodstrukturplan. Das sind Methode und Improvisation in enger Verschränkung, Versuch und Irrtum und neuer Versuch und nächster Versuch, und irgendwann haben sie ihn.
Geduld.
Auf dem Korridor hören wir Schritte. Sie nähern sich. Die Klinke wird hinuntergedrückt. Paul Meierhans mit wasserbenetztem Gesicht, hat sich erfrischt. Dahinter Weiermann, welk wie immer. Der Müller macht für den Wirt eine Bewegung mit der Hand zum festgeschraubten Stuhl. Bedeutet: Bitte wieder hinsetzen. Und stellt einen vollen Becher Mineralwasser vor ihn hin.
»Der Aufenthalt in Regensdorf liesse sich verkürzen, wenn Sie mitmachen«, sagt da Peter Wunderli, »sagen Sie uns die ganze Wahrheit.« Also ein offizielles Wort von oben. Das erste Wort von ihm in dieser Vernehmung, der das Operative sonst den Männern von der Front überlässt. Klingt martialisch, und ist auch so: ein Kampf für das Gesetz.
Wunderli weiter, crescendo: »Fressbalken Würenlos … Sie kennen die drei Männer nicht? Nehmen 50’000 Franken von Unbekannten für einen Mordauftrag. Halten Sie uns für blöd?« Letzter Satz ziemlich forte.
Wenn einen vier Polizisten anstarren und dir zeigen, dass sie persönlich, in ihrer Berufs- und Privatehre, verletzt sind, und das Hauthorn auf Weiermanns Stirn eitrig zu leuchten beginnt. Wenn dich die Temperatur niederkämpft wie eine Tomate im Duromatic. Wenn du eigentlich nur noch schlafen und mit alldem nichts mehr zu tun haben willst. Und wenn dir RA Dr. Burkhalter, der Pflichtverteidiger, auch nicht helfen kann, weil alles konform mit Gesetz, Strassburg, Strafprozessordnung und Branchenüblichkeit.
Dann seufzt du, reibst die Augen, fegst mit dem Handrücken den Schweiss von der Stirn, nimmst noch einen Schluck Wasser, spürst jeden Tropfen die Speiseröhre hinab in den Magen rinnen und in dich einsickern. Die Arme fallen dir schlaff an deinen Seiten herunter, die Hände wechseln von Krallen zu Fäusten, von Fäusten schliesslich zu entspannten Fleischlappen, der
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