Mueller und die Schweinerei
von Joachim Scharpf.« Genug für heute.
Verabschiedung, abführen, »wir sehen uns«. Alle ab. Ein langer Tag.
Tag 8
Achteinhalb Stunden Schlaf im eigenen Bett machen nicht unbedingt zufrieden. Irgendwie hat der Müller gestern gehofft, nach all den Verhören, den Abend mit Kathrin zu verbringen. Hat sie angerufen, konnte sie nicht erreichen, nur ihre Combox, hat eine Nachricht hinterlassen, versuchte möglichst fröhlich zu wirken. Beim zweiten Anruf hat er nichts mehr gesagt, sondern nach einer halben Sekunde Ansagetext aufgelegt. Und diese Unzufriedenheit hat während des Schlafens in ihm vibriert. Sie steckt ihm immer noch in den Knochen. Im Kopf ist es ihm auch etwas trümmlig vor lauter Gastronomie und Vernehmungen und Temperatur. Nur der Boden mit den sechseckigen dunkelroten Fliesen ist kühl. Die nackten Müllerfüsse nehmen dort die Temperatur ab, leiten sie aber höchstens bis Unterkante Knöchel. Das Telefon, er nimmt es in die Hand, aber bei Herrn Borowski ist besetzt.
Der Müller hat heute wieder einen strengen Tag vor sich. Er muss nämlich als Nächstes herausfinden, was Paul Meierhans und Joachim Scharpf in Wahrheit miteinander zu tun haben. Meierhans sagt: hat von der »International Gastro Finance SA « 50’000 Franken bekommen, um Scharpf und dem Sumatra zu schaden. Hat, sagt er, Geschäftsführung als Scharpfs Nachfolger angetragen bekommen. Aber warum sollte die »International Gastro Finance SA « einem eigenen Mann den Braten versalzen? Und weshalb einen wie Hawaiihemd-Meierhans ins Boot holen? Steckt gar nicht die britische Steueroasenfinanzgesellschaft aus der Karibik hinter der Geschichte? Will jemand ganz anderes Joachim Scharpf schaden? Ist der völlig unbescholten? Oder hat er Kontakte zur Unterwelt? Und Paul Meierhans? Tobt in der Zürcher Gastroszene ein giftiger Krieg um Standorte und Kundensegmente? Bessert jemand illegal seine Einnahmen auf? Viele Fragen.
Er geht barfuss in den Unterhosen und mit Unterleibchen ins Wohnzimmer, kurbelt den Rollladen hoch, tritt auf seinen Balkon, der halbrund um die Ecke führt. Geht zum Ende, schon fast beim Küchenfenster. Schaut bei einer Zigarette auf die vorzeitig vergilbenden Kastanienbaumblätter. Schaut auf die Müllecke, wo das halbe Quartier alles entsorgt, was sie nicht zu Entsorgung Zürich bringen wollen. Gegenstände, von denen hast du keine Ahnung, was sie gewesen sind und wozu.
Und schärfer nach rechts sieht er ins Quartier hinein in Richtung Bahneinschnitt zwischen Wiedikon (Seebahnstrasse) und Aussersihl (Tramdepot Elisabethenstrasse). Auf halbem Weg dorthin, weiss er, führt die Weststrasse durch. Bis vor wenigen Jahren grausige Autobahn mitten durchs Quartier, heute Tempo dreissig, bereits Strassencafés, Eigentumswohnungen, Renovationen, Strassenrückbau, Aufwertung. Neue Einwohner kommen, die alten ziehen weg. Wohin? Die Neuen eröffnen Boutiquen und Galerien und Off-Space-Irgendwas und Design und Top-Labels und solche Sachen. So Latte-Publikum und Macchiato-Unternehmer. Die alten Frauen sterben weg, und die frei gewordenen Wohnungen werden pinselrenoviert und kosten dann das Doppelte. Die Neuen essen aus dem Deli und sitzen mit Fahrradkuriertaschen und Laptop im WLAN -Café. Sie grüssen nicht und tragen Kopfhörerchen und telefonieren gleichzeitig. Müller Benedikt weiss nicht, welche Marke gerade top ist, sondern trägt am Körper das Bewährte. Kennt die Magazine nicht, die in den Cafés ausliegen. Und die Leute, wo darin berichten. Liest Zeitungen, die etwas kosten, und ist weit entfernt von Facebook und Twitter und LinkedIn und Google+ und all den Sachen. Weil hat den Kopf voll mit Ermittlungstheorien und Stimmen von den Vernehmungen.
Sieht und denkt all das und zieht an seinem Stängel. Fühlt sich auf einmal wie vom Hammer getroffen, alt und morsch, müde und durcheinander.
Also wirklich Zeit für Herrn Borowski. Jetzt Freizeichen. Ja, es passt. Heute um vierzehn Uhr. Danke, bis gleich. Wieder einmal von einem profitiert, der kurzfristig Wichtigeres zu tun hat, als zum Therapeuten zu gehen.
Und stellt sich unter die Dusche. Frische Unterwäsche. Legt sich wieder hin, aufs Sofa. Ach, die Bettwäsche wechseln, die Küche aufräumen, das Bad putzen, im Wohnzimmer liegen wieder Bücher herum, Zeitungen, Zettel. Wann soll er all das?
Über all den Sorgen schläft der Müller noch einmal ein.
Wie Psychologie geht, habe ich ja schon erzählt. Die können schon etwas, das haben wir gesehen, und es nützt. Aber
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